Generationengerechtigkeit? Reform der Erbschaftssteuer
Die Erbschaftssteuer zählt zu den politisch sensibelsten, aber gleichzeitig gesellschaftlich bedeutsamsten Instrumenten der Steuerpolitik. Kaum ein anderes Thema ruft so gegensätzliche Reaktionen hervor – zwischen dem Schutz familiären Eigentums einerseits und dem Ruf nach mehr Verteilungsgerechtigkeit andererseits. In Zeiten wachsender Ungleichheit, stagnierender Aufstiegschancen und demografischer Belastungen erhält die Frage nach einer gerechten Ausgestaltung der Erbschaftssteuer eine neue Dimension: die der Generationengerechtigkeit.
Wer über die Zukunft der Erbschaftssteuer spricht, muss mehr als fiskalische Aspekte berücksichtigen. Es geht nicht nur um staatliche Einnahmen oder verfassungsrechtliche Grenzen, sondern um die fundamentale Frage, wie gesellschaftliche Vermögensstrukturen über Generationen hinweg geformt werden – und ob künftige Generationen unter wachsender Vermögenskonzentration leiden oder durch gezielte Umverteilung mehr Chancen erhalten.
Das Problem wachsender Vermögensungleichheit
Deutschland zählt im internationalen Vergleich zu jenen Industriestaaten mit einer besonders hohen Konzentration von Privatvermögen in der Spitze. Während Einkommen im Laufe des Lebens aktiv erworben und sozial abgesichert sind, werden Vermögen in hohem Maße vererbt oder verschenkt, oft steuerlich begünstigt oder gar steuerfrei. Diese Dynamik führt dazu, dass sich Vermögensunterschiede nicht nur verfestigen, sondern generationenübergreifend reproduzieren.
Besonders brisant: Die erwarteten Vermögensübertragungen in den kommenden Jahrzehnten sind enorm. Schätzungen zufolge werden allein in Deutschland bis 2040 mehrere Billionen Euro vererbt – ein historischer Vermögenstransfer, der im heutigen Steuersystem nur in geringem Maß besteuert wird.
Damit stellt sich die Frage: Ist es gerecht, wenn große Vermögen weitgehend steuerfrei weitergegeben werden, während jüngere Generationen mit steigenden Sozialabgaben, wachsender Wohnkostenbelastung und einem oft unsicheren Arbeitsmarkt konfrontiert sind?
Generationengerechtigkeit: Ein normativer Rahmen
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Der Begriff der Generationengerechtigkeit ist mehr als eine moralische Forderung – er ist ein politisch legitimierter Maßstab für die Beurteilung von Reformvorschlägen. Generationengerechtigkeit bedeutet, dass die heutigen Gestaltungsentscheidungen nicht zu Lasten der nachfolgenden Generationen gehen dürfen, sondern Chancen, Lasten und Gestaltungsspielräume fair verteilen.
Im Kontext der Erbschaftssteuer bedeutet das konkret:
- Vermögen dürfen nicht dauerhaft verfestigt werden, wenn sie den Zugang zu Chancen (Bildung, Eigentum, Selbstständigkeit) für andere einschränken.
- Steuerliche Regeln müssen so gestaltet sein, dass sie nicht nur die Generation der Erblasser entlasten, sondern auch künftigen Generationen ermöglichen, am wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben.
- Staatliche Einnahmen aus Erbschaften sollten nicht in Konsumausgaben fließen, sondern in zukunftsgerichtete Investitionen – etwa Bildung, Digitalisierung, Klimaschutz oder die Stabilisierung des Rentensystems.
Eine Erbschaftssteuer, die sich an diesem Prinzip orientiert, wäre nicht nur gerechter, sondern auch strategisch sinnvoll.
Das bestehende System: Privilegien durch Bewertung und Ausnahmen
Die Erbschaftssteuer steht im Zentrum einer politischen und gesellschaftlichen Frage, die weit über Finanzen hinausgeht: Wie wollen wir als Gesellschaft mit dem umgehen, was weitergegeben wird – nicht nur an Eigentum, sondern auch an Möglichkeiten?"
Die aktuelle Ausgestaltung der Erbschaftssteuer in Deutschland ist geprägt durch zahlreiche Ausnahmeregeln, Bewertungsabschläge und Steuerbefreiungen, insbesondere im Bereich betrieblicher Vermögen und bei Immobilien. Die Idee dahinter: Familienunternehmen sollen nicht in ihrer Existenz gefährdet, Erben nicht zum Verkauf gezwungen werden.
Doch in der Praxis führen diese Regelungen häufig zu einer Entwertung des Besteuerungsziels. Große Unternehmensvermögen werden mit Methoden bewertet, die weit unter dem tatsächlichen Marktwert liegen. Auch hohe Freibeträge – etwa 400.000 Euro pro Kind – führen dazu, dass nur ein sehr kleiner Teil der Erbschaften überhaupt steuerpflichtig wird.
Hinzu kommt: Menschen ohne Vermögen, die ihren Lebensunterhalt aus Arbeit und Konsum bestreiten, tragen den Hauptteil der Steuerlast. Das untergräbt nicht nur das Prinzip der Leistungsfähigkeit, sondern auch das Vertrauen der Jüngeren in das Steuersystem – ein zentrales Element generationeller Akzeptanz.
Reformoptionen für eine zukunftsgerechte Erbschaftssteuer
Eine Reform der Erbschaftssteuer muss nicht auf Enteignung zielen, sondern auf Ausgleich und Öffnung. Ziel ist nicht die pauschale Bestrafung von Eigentum, sondern die verantwortliche Verteilung von Chancen in einer dynamischen Gesellschaft. Dazu gehören Reformvorschläge wie:
- Realistischere Bewertungsverfahren für Unternehmensvermögen, ohne die Substanz zu gefährden.
- Begrenzung der Steuerprivilegien bei Großvermögen, insbesondere durch Obergrenzen bei Verschonungsabschlägen.
- Dynamisierung der Freibeträge je nach persönlicher und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.
- Zweckbindung der Einnahmen für zukunftsgerichtete Investitionen, etwa in Bildung, Wohnen oder Infrastruktur.
Ein solches Modell könnte beispielsweise auch eine „Chancenkomponente“ integrieren, etwa durch Bildungsguthaben, Existenzgründungsförderung oder Startkapitalprogramme, die direkt aus Erbschaftssteuern finanziert werden – ein konkreter Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
Politische Machbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz
Die politische Diskussion über die Erbschaftssteuer ist geprägt von tiefen ideologischen Gräben. Eigentum gilt vielen als Ausdruck von Freiheit, Erbschaft als Teil des familiären Lebensmodells. Gleichzeitig wächst in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür, dass Vermögen nicht nur privat, sondern auch sozial relevant ist – insbesondere dann, wenn es Ungleichheit verstetigt.
Zukunftsgerechte Reformen werden nur dann tragfähig sein, wenn sie nicht allein fiskalisch begründet, sondern gesellschaftlich legitimiert werden. Dazu gehört eine klare Kommunikation: Warum ist Erben keine reine Privatangelegenheit? Wie werden Belastungen fair verteilt? Welche Investitionen werden mit den Einnahmen ermöglicht?
Ein gerechtes, transparentes und verlässlich ausgestaltetes Erbschaftssteuersystem kann so nicht nur Einnahmen generieren, sondern Vertrauen und Generationensolidarität fördern.
Fazit: Eine Steuer für Chancen, nicht gegen Eigentum
Die Erbschaftssteuer steht im Zentrum einer politischen und gesellschaftlichen Frage, die weit über Finanzen hinausgeht: Wie wollen wir als Gesellschaft mit dem umgehen, was weitergegeben wird – nicht nur an Eigentum, sondern auch an Möglichkeiten?
Eine zukunftsgerechte Erbschaftssteuer erkennt an, dass Eigentum Verantwortung bedeutet. Sie nutzt steuerliche Instrumente, um Vermögenskonzentration zu begrenzen, Generationenlasten fair zu verteilen und den Spielraum für zukünftige Investitionen zu erhalten.
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