Der Mindestlohn reicht weder für einen annehmbaren Lebensstandard noch für eine bedarfsgerechte Rente

Soziale Gerechtigkeit als Wahlkampfthema Breite Bevölkerungsschichten verarmt?

Statistiken lassen sich immer in unterschiedlicher Weise interpretieren, wie aktuell an den Wahlkampfthemen ersichtlich wird: Das Thema Gerechtigkeit wird von einigen gezielt aufgegriffen, andere können die Argumente nicht nachvollziehen.

Für Martin Schulz steht das Thema soziale Gerechtigkeit im Fokus, wenn er seine SPD in den Wahlkampf führt. Angesichts der Tatsache, dass mit der Agenda 2010 nicht nur Lohnzurückhaltung geübt wurde, sondern der Arbeitsmarkt im Interesse der Wirtschaft liberalisiert wurde, wirkt dies nur bedingt glaubwürdig. Allerdings gibt es auch eine ganze Reihe von Stimmen, die in Deutschland gar keinen Anlass zur Sorge sehen - es ist eben eine Frage der Statistik.

Exportüberschüsse, niedrige Arbeitslosenquote und Steuerplus - alles im Lot?

Deutschland exportiert seit nunmehr sieben Jahren mehr, als es importiert - was kurzsichtig als Erfolg gefeiert wird, jedoch nicht nur politisch negativ zurückschlägt. Die Arbeitslosenquote ist deutlich nach unten gegangen, mit 44 Millionen Erwerbstätigen wurde eine neue Rekordmarke erreicht. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es heute einen enormen Niedriglohnsektor gibt: Reicht das Einkommen aus einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis nicht aus, um davon die Lebenshaltungskosten bestreiten zu können, wirft das berechtigte Fragen auf. 

Die Arbeitseinkommen wuchsen im Zeitraum von 2007 bis 2015 um 28,6 Prozent, das sind rund 3,5 Prozent pro Jahr. Dies dürfte aber zu einem guten Teil auch der Einführung des Mindestlohnes geschuldet sein. In der laufenden Legislaturperiode stiegen die Sozialausgaben auf rund 900 Milliarden Euro, was einem Zuwachs von rund 100 Milliarden Euro entspricht. Ohnehin bestätigt die OECD seit Jahren, dass die deutschen Steuern und Abgaben zu den höchsten in den Industrienationen zählen. Diese Zahlen werden nun als Basis genutzt, um entweder die soziale Ungerechtigkeit anzuprangern oder eine gegenläufige Argumentation aufzubauen.

Es lässt sich aber nicht von der Hand weisen, dass das Vermögen zunehmend in den Händen weniger Menschen konzentriert ist."

Situation nüchtern betrachten und auf lange Sicht agieren

Nun gehört es zum Wahlkampf, dass Statistiken unterschiedlich interpretiert und schlagkräftige Argumente formuliert werden. Es lässt sich aber nicht von der Hand weisen, dass sich das Vermögen zunehmend in den Händen weniger Menschen konzentriert und auf der anderen Seite eine für das reiche Deutschland beschämend große Bevölkerungsschicht, darunter viele Kinder, von der Armut bedroht ist. Der nach vielen Jahren harten Kampfes eingeführte Mindestlohn wurde zwar etwas nach oben angepasst, reicht aber weder für einen annehmbaren Lebensstandard noch für eine bedarfsgerechte Rente aus.

Weitere Probleme werden sich erst noch bemerkbar machen, wie beispielsweise das niedrige Investitions- und Innovationsvolumen oder die Herausforderungen durch bislang misslungene Integration, Defizite in der Bildungspolitik oder Digitalisierung und Globalisierung. Die deutsche Wirtschaft zehrt seit Jahren von der Substanz, hier ist ein großer Wurf fällig, um den Standard zu halten.

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