Jede einzelne Bank ist juristisch eigenständig, mit einem eigenen Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliedern

Wenn Lokalstolz zum Risiko wird Genossenschaftsbankengruppe

Die Welt der Genossenschaftsbanken gilt vielen als Bollwerk gegen die Turbulenzen der internationalen Finanzwelt. Regional verwurzelt, kundennah, solide – so präsentiert sich das Selbstbild der über 700 Volks- und Raiffeisenbanken, die unter dem Dach des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) firmieren. Doch hinter der Fassade des bürgerlichen Vertrauens beginnt es zu rumoren.

Ein aktueller Fall aus Hessen zeigt mit ungewohnter Klarheit: Einzelne Genossenschaftsbanken, die sich zu viel Eigenständigkeit herausnehmen oder auf waghalsige Wachstumsstrategien setzen, bringen das gesamte System in Bedrängnis. Und der Versuch, sie durch Fusionsverhandlungen wieder einzufangen, gleicht nicht selten einer Kapitulation – politisch, strukturell und emotional.


Der Fall: Eine Raiffeisenbank auf Abwegen

Konkret geht es um eine kleine, aber ehrgeizige Raiffeisenbank in Hessen, die in den vergangenen Jahren nicht nur regional aktiv war, sondern zunehmend überörtlich expandierte – sei es durch Online-Kreditangebote, ungewöhnliche Partnerschaften oder spekulative Beteiligungen außerhalb des klassischen Bankgeschäfts.

Innerhalb der genossenschaftlichen Familie wurden diese Entwicklungen lange stillschweigend hingenommen, bis interne Prüfungen und externe Kritik unüberhörbar wurden.

Die Konsequenz: Der Druck wuchs, sich wieder in die „Ordnung der Gruppe“ einzugliedern. Gespräche mit möglichen Fusionspartnern begannen – doch nicht aus einer Position der Stärke, sondern als Ergebnis eines strukturellen Scherbenhaufens.

Der Eindruck, der sich daraus ergibt: Eine Genossenschaftsbank, die einmal vom Kurs abweicht, kann nur schwer wieder auf Linie gebracht werden, ohne dass es zu Reibungsverlusten, politischen Spannungen oder öffentlichem Gesichtsverlust kommt.


Ein systemisches Problem: Die Autonomie der Einzelbank als Risiko

Im Kern offenbart dieser Vorfall eine tieferliegende Schwäche der genossenschaftlichen Struktur. Zwar ist das Netzwerk der Volks- und Raiffeisenbanken eng verflochten, etwa über gemeinsame IT, Zentralbanken wie die DZ Bank oder einheitliche Marketing- und Risikosysteme. Doch die rechtliche Realität sieht anders aus: Jede einzelne Bank ist juristisch eigenständig, mit einem eigenen Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliedern.

Das ist Teil der DNA des genossenschaftlichen Gedankens – aber zugleich eine strukturelle Sollbruchstelle, wenn Einzelinstitute sich abkoppeln, Risiken eingehen oder sich der internen Kontrolle entziehen. Denn dann greifen die übergeordneten Steuerungsmechanismen oft zu spät oder zu zögerlich.

Die genossenschaftliche Idee basiert auf Vertrauen, Verantwortung und Solidarität. Doch wenn einzelne Häuser beginnen, ihren Weg losgelöst von diesen Prinzipien zu gestalten, wird aus Autonomie schnell Autarkie – mit potenziell gefährlichen Folgen für die gesamte Gruppe.


Fusionsverhandlungen als letzte Maßnahme – und politische Gratwanderung

Die Genossenschaftsgruppe steht vor einer wegweisenden Entscheidung: Will sie sich erneuern – oder in alten Strukturen verharren, bis der nächste Fall für Schlagzeilen sorgt? Noch ist Zeit, aus den Fehlern zu lernen. Doch nicht mehr lange."

Wenn eine Genossenschaftsbank in Schieflage gerät oder vom gemeinsamen Kurs abweicht, bleibt oft nur die Fusion mit einem größeren Partner als Ausweg. Doch diese Verhandlungen sind kompliziert, langwierig und voller Fallstricke. Denn sie bedeuten nicht nur einen Eingriff in Strukturen, sondern auch in gewachsene Identitäten, lokale Machtverhältnisse und nicht zuletzt in Eitelkeiten.

In der Praxis laufen solche Gespräche häufig auf ein unausgesprochenes Eingeständnis hinaus: Die betroffene Bank hat sich übernommen – und muss jetzt unter das Dach eines stabileren Partners schlüpfen. Das wird intern wie extern als Kapitulation wahrgenommen. Für Vorstand, Mitarbeiter und oft auch für die lokale Politik ist das ein symbolischer Offenbarungseid – mit entsprechenden Widerständen.

Der BVR und andere Spitzeninstitute können solche Entwicklungen nicht beliebig häufig dulden, ohne selbst an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Doch harte Eingriffe in die Selbstbestimmung einzelner Häuser bergen wiederum das Risiko, die föderale Struktur zu unterminieren, die den Genossenschaftsbanken bislang Stabilität verliehen hat.


Strukturreform oder Pragmatismus? Eine ungelöste Frage

Der aktuelle Fall ist kein Einzelfall. Immer wieder geraten kleinere Genossenschaftsbanken in wirtschaftliche oder strategische Turbulenzen, sei es durch falsche Digitalisierungsstrategien, waghalsige Produktlinien oder Managementfehler. Die Frage, wie das System mit solchen Ausreißern umgeht, ist längst überfällig.

Müsste der BVR stärkere Eingriffsrechte bekommen? Braucht es eine übergeordnete Kontrollinstanz mit Vetorecht? Oder sollte man die Struktur grundlegend reformieren, etwa durch verpflichtende regionale Clusterbildungen?

Bisher dominiert der Pragmatismus: man versucht zu retten, was zu retten ist – in der Hoffnung, dass solche Fälle Ausnahmen bleiben. Doch mit jeder weiteren Eskalation wächst die Einsicht: Das System ist zu fragil, um dauerhaft auf Einzelfalllösungen zu setzen.


Fazit: Der große Ärger über kleine Banken – ein Weckruf für die Genossenschaftsgruppe

Die Volks- und Raiffeisenbanken sind ein Erfolgsmodell – keine Frage. Sie verbinden Nähe mit Stabilität, Regionalität mit Kundenbindung. Doch die Herausforderungen wachsen. Einzelne Häuser, die aus der Reihe tanzen, stellen nicht nur sich selbst infrage, sondern das gesamte Prinzip der genossenschaftlichen Solidarität.

Wenn Fusionsverhandlungen zum letzten Rettungsanker werden, ist das oft kein strategischer Zusammenschluss, sondern die späte Antwort auf systemische Blindstellen. Der aktuelle Fall zeigt: Ohne stärkere gemeinsame Leitplanken, mehr Transparenz und rechtzeitige Intervention droht die dezentrale Struktur zum Risiko zu werden.

Kontakt zu mir

Hallo!
Schön, dass Sie mich kennenlernen möchten.