Wissenswertes zu aktuellen Finanzthemen

Finanzlexikon Grenzen der Modellwelt

Warum komplexe Finanzsysteme kaum berechenbar sind.

Finanzmärkte sind unübersichtlich, volatil und oft irrational. Kein Wunder also, dass Ökonomen, Analysten und Investmentprofis versuchen, dieses Chaos durch Modelle zu zähmen. Formeln, Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Szenarien sollen Orientierung geben – für Zinsen, Kurse, Inflation oder Kreditrisiken.

Doch je komplexer die Realität, desto fragiler werden die Modelle. Die Finanzkrise 2008, das Platzen der Dotcom-Blase oder die überraschende Inflation nach Corona haben gezeigt: Wenn es darauf ankommt, versagen viele Modelle – nicht trotz, sondern wegen ihrer Komplexität.


Was Finanzmodelle leisten – und was nicht

Modelle sind Werkzeuge, keine Wahrheiten. Sie helfen, Annahmen zu strukturieren, Zusammenhänge zu verdeutlichen und Entscheidungen zu fundieren.

In der Theorie. In der Praxis hingegen unterliegen sie engen Grenzen:

  • Sie arbeiten mit vereinfachten Annahmen (z. B. „rationale Marktteilnehmer“, „stabile Korrelationen“).
  • Sie basieren auf historischen Daten, die die Zukunft nur bedingt abbilden.
  • Sie ignorieren häufig nicht messbare Einflüsse wie politische Entscheidungen, psychologische Reaktionen oder Naturkatastrophen.

So wird aus dem hilfreichen Werkzeug schnell ein trügerisches Sicherheitsversprechen, das falsche Gewissheiten erzeugt – bis die Realität es widerlegt.


„Garbage in, garbage out“ – das Dilemma der Eingangsparameter

Jedes Modell ist nur so gut wie seine Eingangsdaten. Wenn Inflationsraten falsch eingeschätzt, Kreditrisiken zu optimistisch bewertet oder Unternehmenszahlen zu kreativ aufbereitet sind, entsteht ein Schein von Präzision – aber keine verlässliche Aussage.

Besonders gefährlich wird das, wenn diese Modelle Grundlage für milliardenschwere Anlageentscheidungen werden. Die Finanzkrise 2008 ist ein Paradebeispiel: Komplexe strukturierte Produkte wie CDOs basierten auf Modellen, die das Risiko von Kreditausfällen massiv unterschätzten – mit verheerenden Folgen.


Komplexität ist nicht Kontrolle

Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Gleichsetzung von Modelltiefe mit Modellgüte. Doch in komplexen Finanzsystemen gilt oft das Gegenteil: Je detaillierter ein Modell, desto anfälliger ist es für Störungen. Kleine Änderungen in den Prämissen führen zu völlig anderen Ergebnissen.

Zudem sind Finanzmärkte adaptive Systeme. Marktteilnehmer beobachten Modelle, reagieren auf sie – und verändern damit die Bedingungen, auf denen das Modell ursprünglich beruhte. Das macht Finanzmärkte nichtlinear, reflexiv und instabil.


Risiko vs. Unsicherheit – ein oft übersehener Unterschied

Nicht das eleganteste Modell schützt das Vermögen – sondern die Bereitschaft, mit Unsicherheit zu leben, robuste Strategien zu wählen und nicht alles kontrollieren zu wollen. Denn gerade darin liegt oft die größte Stärke eines Anlegers: Disziplin – nicht Berechenbarkeit."

Viele Modelle unterscheiden nicht sauber zwischen Risiko und Unsicherheit. Risiko lässt sich messen, etwa durch Volatilität oder Ausfallwahrscheinlichkeit. Unsicherheit dagegen ist qualitativ – und betrifft Ereignisse, die außerhalb der Modelllogik liegen: politische Brüche, Pandemien, Technologieumbrüche.

Nobelpreisträger Frank Knight hat diesen Unterschied schon 1921 beschrieben – doch viele Modelle tun bis heute so, als sei Unsicherheit nur eine etwas schwerere Form von Risiko. Dabei ist sie eine eigene Kategorie – und eine der gefährlichsten.


Was bedeutet das für Anleger?

Modelle können nützlich sein, wenn sie mit Augenmaß genutzt werden. Aber sie sind keine Entscheidungsvorlagen. Wer sich blind auf Wahrscheinlichkeiten verlässt, riskiert massive Verluste – gerade in Stresssituationen, wenn Modelle am häufigsten versagen.

Anleger sollten lernen, zwischen Modellwelt und Realwelt zu unterscheiden:

  • Modelle liefern Szenarien, keine Vorhersagen.
  • Ergebnisse sollten immer hinterfragt und plausibilisiert werden.
  • Die entscheidende Frage lautet: Was passiert, wenn das Modell falsch liegt?

Fazit: Demut statt Hochglanz

Die Geschichte der Finanzmärkte lehrt nicht, dass Modelle unnütz sind – sondern dass ihre Aussagekraft Grenzen hat. Wer ihre Grenzen kennt und anerkennt, kann sie sinnvoll nutzen. Wer sie überschätzt, läuft Gefahr, in der nächsten Krise blind zu werden.

Für Anleger bedeutet das: Nicht das eleganteste Modell schützt das Vermögen – sondern die Bereitschaft, mit Unsicherheit zu leben, robuste Strategien zu wählen und nicht alles kontrollieren zu wollen. Denn gerade darin liegt oft die größte Stärke eines Anlegers: Disziplin – nicht Berechenbarkeit.

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