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Finanzlexikon Implizite vs. historische Volatilität

Zwei Blickwinkel auf Marktschwankungen – und ihre jeweilige Aussagekraft.

Volatilität gehört zu den zentralen Konzepten im modernen Finanzwesen. Doch sie ist nicht eindeutig definiert. Vielmehr existieren zwei bedeutende Formen der Volatilitätsmessung, die häufig verwechselt oder gleichgesetzt werden: die historische Volatilität und die implizite Volatilität. Beide messen Schwankungen – aber mit unterschiedlichen Zielen, Methoden und Zeithorizonten. Wer verstehen will, was Märkte über Risiko, Erwartung und Nervosität preisgeben, muss zwischen diesen beiden Zugängen unterscheiden.


Historische Volatilität: Rückblick auf reale Bewegungen

Die historische Volatilität (auch Realized Volatility genannt) misst die tatsächlichen Kursbewegungen eines Wertpapiers über einen definierten Zeitraum. Meist wird sie auf Basis täglicher Renditen über Zeiträume von 30, 60 oder 90 Tagen berechnet. Sie zeigt also, wie stark der Kurs eines Assets in der Vergangenheit geschwankt hat.

Diese Volatilität ist faktisch beobachtbar, mathematisch exakt und objektiv messbar. Doch sie ist rückwärtsgewandt. Sie beschreibt, was war – nicht, was sein wird. Ihre größte Schwäche liegt daher in der Annahme, dass die Vergangenheit Rückschlüsse auf die Zukunft erlaubt. In ruhigen Marktphasen liefert sie beruhigende Signale, die jedoch trügen können. Gerade vor größeren Korrekturen ist die historische Volatilität oft erstaunlich niedrig.


Implizite Volatilität: Spiegel der Markterwartung

Die implizite Volatilität (implied volatility) hingegen ist zukunftsgerichtet. Sie lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird aus den Preisen von Optionen abgeleitet. Der Markt „impliziert“ eine gewisse Schwankung, um die aktuellen Optionspreise zu rechtfertigen. Diese Volatilität zeigt also, wie unsicher oder nervös Marktteilnehmer mit Blick auf künftige Entwicklungen sind.

Ein berühmter Maßstab ist der VIX, auch „Angstindex“ genannt, der die implizite Volatilität für den S&P 500 misst. Hohe implizite Volatilität signalisiert erhöhte Nervosität – etwa in Krisen oder bei politischen Spannungen. Sie ist damit ein Indikator für Erwartung, Emotion und Risikopräferenz.

Doch auch die implizite Volatilität hat ihre Schwächen. Da sie stark von Angebot und Nachfrage nach Optionen beeinflusst ist, kann sie überschießen – und damit eine übertriebene Wahrnehmung von Risiko suggerieren.


Unterschiede in Aussage und Anwendung

Beide Volatilitätsbegriffe dienen unterschiedlichen Zwecken.

Die historische Volatilität ist ein analytisches Werkzeug für Rückschau und Modellierung.

Sie findet Anwendung im Risikomanagement, etwa bei der Berechnung von Value-at-Risk.

Die implizite Volatilität hingegen ist ein Frühindikator.

Sie erlaubt Rückschlüsse auf Stimmungen und Einschätzungen der Marktteilnehmer.

Sie spielt daher eine zentrale Rolle in der Optionspreisbildung, in der strategischen Allokation – und zunehmend auch im Behavioural Finance.

Einige zentrale Unterschiede:

  • Zeitperspektive: Historisch = rückblickend, Implizit = vorausschauend
  • Quelle: Historisch = Kursdaten, Implizit = Optionspreise
  • Bedeutung: Historisch = realisierte Schwankung, Implizit = erwartete Schwankung

Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen

Implizite und historische Volatilität liefern keine endgültigen Antworten, aber sie stellen wertvolle Fragen. Beide sind notwendig, um das vielschichtige Phänomen Marktrisiko zu verstehen."

Interessant wird es dort, wo beide Volatilitäten auseinanderlaufen. Steigt die implizite Volatilität stark über die historische hinaus, signalisiert das ein wachsendes Unsicherheitsgefühl der Marktteilnehmer – etwa vor geopolitischen Ereignissen, Zinsentscheiden oder Unternehmensbilanzen. Sinkt sie dagegen deutlich unter die realisierte Volatilität, könnte dies auf Sorglosigkeit oder unterschätzte Risiken hinweisen.

In manchen Marktphasen nähern sich beide Werte einander an, in anderen klaffen sie auseinander – etwa in Vorbeben von Finanzkrisen oder während Phasen übertriebener Marktgelassenheit. Für institutionelle Investoren sind diese Relationen ein wichtiges Werkzeug zur Positionsbewertung.


Fazit: Zwei Perspektiven, eine Aufgabe

Implizite und historische Volatilität liefern keine endgültigen Antworten, aber sie stellen wertvolle Fragen. Beide sind notwendig, um das vielschichtige Phänomen Marktrisiko zu verstehen. Wer sie isoliert betrachtet, läuft Gefahr, eine einseitige Sicht auf die Risikolandschaft zu entwickeln. Wer sie jedoch gemeinsam analysiert, erhält ein tieferes Verständnis für die Kräfte hinter der Oberfläche des Marktes.

In einer zunehmend komplexen Welt der Geldanlage wird dieser differenzierte Blick auf Schwankung und Risiko zu einem zentralen Bestandteil zeitgemäßer Finanzkompetenz.

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