Die Studie erhöht den Druck auf die Politik, grundlegende Reformen anzustoßen

Wenn das solidarische Versprechen zur Last wird Konflikte unter den Generationen

Der Generationenvertrag gehört zu den tragenden Säulen des deutschen Sozialstaats. Er basiert auf einem einfachen Prinzip: Die Erwerbstätigen von heute finanzieren die Renten, Gesundheitskosten und sozialen Absicherungen der älteren Generation – im Vertrauen darauf, dass künftige Generationen ihnen gegenüber ebenso handeln werden.

Doch dieses Prinzip gerät zunehmend unter Druck. Die demografische Entwicklung, die Alterung der Gesellschaft und die wachsende finanzielle Belastung der Sozialsysteme führen dazu, dass der Beitrag, den die junge Generation künftig zu leisten hat, immer weiter steigt. Eine neue Studie des Ökonomen und „Wirtschaftsweisen“ Martin Werding bringt diesen Trend in eine alarmierende Zahl: Ein heute Neugeborener wird im Erwerbsleben voraussichtlich 56 Prozent seines Bruttolohns für Sozialbeiträge aufwenden müssen – mehr als je eine Generation zuvor.

Was wie eine abstrakte Rechengröße erscheint, birgt politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sprengstoff. Denn je mehr sich die Lasten verschieben, desto größer wird die Gefahr, dass der Generationenvertrag nicht mehr als gerecht empfunden – und am Ende infrage gestellt wird.


Die Grundlage der Studie: Demografie als Dreh- und Angelpunkt

Die Berechnungen von Martin Werding basieren auf langfristigen Modellrechnungen zur Entwicklung von Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Sozialsystemen in Deutschland. Der Fokus liegt dabei nicht auf kurzfristigen Finanzlücken, sondern auf strukturellen Trends.

Entscheidend ist die demografische Ausgangslage: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen zunehmend in Rente, während die nachfolgenden Generationen zahlenmäßig deutlich schwächer sind.

Hinzu kommen steigende Lebenserwartung, höhere Gesundheitskosten im Alter und die relative Konstanz sozialer Leistungszusagen. Das Resultat: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Empfänger sozialer Leistungen finanzieren.

Werding zeigt in seiner Studie, dass die Sozialbeiträge – also Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung – bis Mitte des Jahrhunderts schrittweise auf ein historisches Höchstniveau steigen werden, sofern keine tiefgreifenden Reformen erfolgen.

Für junge Menschen, die heute ins Leben starten, bedeutet das eine beispiellose fiskalische Belastung über die gesamte Erwerbsbiografie hinweg.


56 Prozent: Mehr als eine Zahl

Die oft zitierte Zahl von 56 Prozent des Bruttolohns, die ein im Jahr 2020 geborenes Kind einmal für Sozialbeiträge abführen müsste, ist mehr als ein symbolischer Wert. Sie zeigt, wie unausgewogen das Verhältnis zwischen den Generationen zu werden droht – und wie sehr sich das Gleichgewicht verschieben könnte, wenn die demografischen Entwicklungen nicht durch strukturelle Anpassungen begleitet werden.

Konkret bedeutet das: Wer später 3.000 Euro brutto im Monat verdient, müsste davon über 1.600 Euro allein in die Sozialsysteme einzahlen – bevor Steuern, Lebenshaltungskosten oder private Vorsorge überhaupt berücksichtigt sind. Damit entsteht ein reales Risiko, dass junge Erwerbstätige kaum noch Luft zum Sparen, Investieren oder familiären Aufbau haben.

Die Folge ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine psychologische: Wenn der Eindruck entsteht, dass das System mehr nimmt als gibt, droht eine Erosion des Vertrauens in staatliche Solidarität. Das könnte nicht nur zur Ablehnung einzelner Reformmaßnahmen führen, sondern die Legitimität des Sozialstaats insgesamt gefährden.


Politischer Sprengstoff: Reformdruck ohne Mehrheiten

Die Studie von Martin Werding ist keine dramatisierende Projektion, sondern eine nüchterne Warnung. Sie zeigt, dass die Belastung der jungen Generation im bestehenden System nicht linear, sondern exponentiell ansteigt – sofern keine politischen Korrekturen vorgenommen werden."

Die Ergebnisse der Studie erhöhen den Druck auf die Politik, grundlegende Reformen anzustoßen. Doch genau hier liegt das Dilemma: Notwendige Veränderungen sind bekannt, politisch aber hochriskant. Dazu zählen unter anderem:

  • Die Erhöhung des Renteneintrittsalters über 67 hinaus.
  • Eine stärkere Kapitaldeckung in der Alterssicherung.
  • Eine Begrenzung von Leistungsausweitungen in der Pflege.
  • Eine breitere Finanzierungsbasis für die Krankenversicherung, etwa durch Einbeziehung zusätzlicher Einkommensarten.

Doch all diese Maßnahmen stoßen auf Widerstände, insbesondere bei älteren Wählergruppen, die mittlerweile einen erheblichen Teil des Elektorats stellen. Gleichzeitig sind junge Menschen politisch unterrepräsentiert und werden in ihren Interessen oft nicht ausreichend wahrgenommen.

Die Gefahr besteht, dass aus kurzfristiger politischer Rücksichtnahme langfristig irreversible Probleme entstehen – ein klassischer Zielkonflikt zwischen Generationengerechtigkeit und Mehrheitsfähigkeit.


Junge Generation: Zwischen Anpassung und Abkehr

Die langfristige Überforderung der jüngeren Generation könnte auch gesellschaftliche Konsequenzen haben. Schon heute zeigen viele junge Menschen ein wachsendes Misstrauen gegenüber staatlicher Vorsorge. Private Rentenmodelle, ETFs und digitale Finanzbildung erleben einen Boom – nicht zuletzt, weil das Vertrauen in das Umlageprinzip schwindet.

Zugleich wächst das Gefühl einer doppelten Bürde: Wer jung ist, soll gleichzeitig für die Sicherung der älteren Generation aufkommen, in eine ungewisse eigene Zukunft vorsorgen und sich auf einem zunehmend fragmentierten Arbeitsmarkt behaupten. Diese Ballung von Anforderungen birgt das Risiko einer inneren Distanzierung – oder im Extremfall einer offenen Ablehnung des Systems.

Es entsteht ein gefährliches Paradox: Gerade jene Generation, die das System am Leben erhalten soll, verliert zunehmend das Vertrauen in seine Fairness.


Fazit: Der Generationenvertrag braucht ein Update

Die Studie von Martin Werding ist keine dramatisierende Projektion, sondern eine nüchterne Warnung. Sie zeigt, dass die Belastung der jungen Generation im bestehenden System nicht linear, sondern exponentiell ansteigt – sofern keine politischen Korrekturen vorgenommen werden.

Die Frage lautet nicht, ob der Generationenvertrag grundsätzlich tragfähig ist, sondern wie er reformiert werden kann, ohne sein Prinzip zu verraten. Es geht um Balance, Beteiligung und vor allem um die Wiederherstellung eines gegenseitigen Vertrauens. Nur wenn junge Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht überfordert, sondern gehört und eingebunden werden, kann das solidarische Prinzip weiterleben.

Denn eines ist klar: Ein Generationenvertrag, der nur von einer Seite getragen wird, ist kein Vertrag mehr – sondern ein Ungleichgewicht mit Ablaufdatum.

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