Kürzere Arbeitszeiten korrelieren nicht automatisch mit weniger Erschöpfung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) Selbstbestimmung statt Stundenzählen

In der Debatte um Arbeitszeitverkürzung wird oft ein einfacher Zusammenhang angenommen: Weniger Stunden gleich weniger Belastung. Doch eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) stellt diesen Zusammenhang infrage.

Zwar mag eine reduzierte Wochenarbeitszeit auf den ersten Blick wie ein direkter Hebel für mehr Wohlbefinden erscheinen, doch in der Praxis spielen andere Faktoren eine weitaus größere Rolle für das Erleben von Stress, Erschöpfung und Überforderung im Arbeitsalltag.

Die IW-Studie zeigt: Nicht die reine Anzahl der Arbeitsstunden entscheidet darüber, wie ausgelaugt sich Beschäftigte fühlen, sondern vor allem die Art und Weise, wie sie arbeiten können – allen voran das Maß an Selbstbestimmung.


Arbeitszeit ist nicht gleich Belastung: Die Erkenntnisse der Studie

Die Studie des IW Köln basiert auf einer umfangreichen Befragung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus verschiedenen Branchen und Berufsfeldern. Dabei wurde nicht nur nach der wöchentlichen Arbeitszeit gefragt, sondern auch nach dem subjektiven Erschöpfungsempfinden – also dem individuellen Gefühl, ausgelaugt, gestresst oder überfordert zu sein.

Das Ergebnis: Kürzere Arbeitszeiten korrelieren nicht automatisch mit weniger Erschöpfung. Viele Teilzeitkräfte berichteten ebenfalls von hoher Erschöpfung – teils sogar stärker als Vollzeitbeschäftigte. Einfache Kausalitäten wie „weniger Arbeit gleich weniger Stress“ greifen also zu kurz.

Was sich hingegen deutlich zeigte: Wer über mehr Gestaltungsspielräume in seinem Arbeitsalltag verfügt, fühlt sich messbar weniger erschöpft, unabhängig von der reinen Stundenanzahl.


Selbstbestimmung als Schlüssel zum Wohlbefinden

Zentrale Erkenntnis der Untersuchung ist, dass Selbstbestimmung ein entscheidender Schutzfaktor gegen psychische Erschöpfung ist. Gemeint ist damit vor allem:

  • Die Möglichkeit, eigene Arbeitsabläufe zu steuern
  • Die Freiheit, Pausen flexibel einzulegen
  • Die Autonomie, Aufgaben priorisieren und strukturieren zu dürfen
  • Die Wahl, wann und wo man arbeitet – etwa durch Homeoffice oder Gleitzeitmodelle

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Arbeit als selbstbestimmt erleben, berichten seltener von emotionaler Erschöpfung, fühlen sich stärker eingebunden und empfinden ihre Tätigkeit als sinnerfüllter.

Umgekehrt fühlen sich viele Menschen gerade dann besonders gestresst, wenn sie wenig Kontrolle über ihre Arbeit haben – etwa durch enge Taktung, ständige Unterbrechungen, starre Präsenzzeiten oder detailgenaue Kontrolle durch Vorgesetzte.


Qualität schlägt Quantität: Warum Arbeitsgestaltung entscheidender ist als -dauer

Für Unternehmen bedeutet das: Der Fokus sollte weniger auf starren Arbeitszeitmodellen liegen, sondern auf klugen, flexiblen Gestaltungsspielräumen, die Eigenverantwortung und Vertrauen fördern. Denn wer seine Arbeit mitgestalten darf, wer sich nicht ständig fremdbestimmt fühlt, sondern als aktiver Teil des Ganzen, ist nicht nur weniger erschöpft – sondern auch motivierter, engagierter und langfristig gesünder."

In der öffentlichen Diskussion dominiert oft die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit – sei es durch eine Vier-Tage-Woche, durch reduzierte Stundenkontingente oder durch Teilzeitmodelle. Und tatsächlich kann eine Arbeitszeitverkürzung dann entlastend wirken, wenn sie mit einer echten Reduktion der Arbeitsmenge einhergeht.

Problematisch wird es jedoch, wenn die Aufgabenfülle gleich bleibt und nur in weniger Zeit bewältigt werden muss. Dann steigt der Druck – trotz kürzerer Arbeitszeit.

Auch das zeigen die Studienergebnisse: Wer unter Zeitdruck leidet, wer viele Aufgaben gleichzeitig erledigen muss oder regelmäßig Überstunden macht, ist besonders anfällig für Erschöpfung – unabhängig davon, ob offiziell 20 oder 40 Stunden pro Woche gearbeitet wird.


Was Unternehmen daraus lernen können

Für Arbeitgeber ergeben sich aus der Untersuchung wichtige Hinweise, wie sie die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern können – jenseits von klassischen Arbeitszeitmodellen.

  • Flexibilität ermöglichen: Gleitzeit, Homeoffice und mobile Arbeitslösungen geben Beschäftigten die Kontrolle über ihren Arbeitstag zurück.
  • Vertrauen statt Kontrolle: Führungskräfte sollten auf Zielorientierung statt Mikromanagement setzen – das stärkt Motivation und Eigenverantwortung.
  • Partizipation fördern: Mitarbeitende sollten bei der Gestaltung ihrer Aufgaben und Prozesse mitreden dürfen. Das stärkt die Identifikation mit der Arbeit.
  • Pausenkultur etablieren: Erholungsphasen müssen nicht nur erlaubt, sondern aktiv gefördert werden – etwa durch klare Signale von oben.

Dabei geht es nicht um eine völlige Aufhebung von Strukturen, sondern um Rahmenbedingungen, die echte Selbststeuerung ermöglichen. Wer das schafft, kann die Erschöpfung im Team deutlich reduzieren – auch ohne die tägliche Arbeitszeit drastisch zu kürzen.


Fazit: Nicht die Uhr, sondern die Autonomie zählt

Die IW-Studie macht deutlich, dass psychische Erschöpfung nicht einfach durch ein paar Stunden weniger Arbeit verschwindet. Viel entscheidender ist die Frage, wie frei Menschen ihre Arbeit gestalten können, wie viel Einfluss sie auf ihren Tag haben – und ob sie sich als selbstwirksam erleben.

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