Finanzlexikon Antizyklik: Mut im Gegenwind
Mit Persönlichkeiten, die bewusst gegen Strömungen dachten: John Templeton, Howard Marks.
Antizyklisches Investieren gehört zu jenen Strategien, die nicht nur Fachwissen, sondern Charakter erfordern. Während die Mehrheit dem folgt, was sich gut anfühlt – steigende Kurse, positive Nachrichten, kollektive Euphorie –, richtet sich der Antizykliker dorthin, wo es unangenehm wird. Er sucht Chancen in Phasen, in denen Unsicherheit herrscht, Bewertungen verzerrt sind und Märkte überreagieren.
Diese Fähigkeit, im Lärm der Mehrheit die eigene Überzeugung zu behalten, verbindet Persönlichkeiten wie John Templeton, einen der bekanntesten antizyklischen Anleger des 20. Jahrhunderts, und Howard Marks, der die Psychologie der Marktstimmungen wie kaum ein anderer analysiert hat. Beide zeigen, dass Antizyklik weniger eine Methode als eine Haltung ist.
John Templeton: Kaufen, wenn Hoffnung fehlt
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Templeton wurde berühmt, weil er während des Zweiten Weltkriegs Aktien kaufte, die andere vollständig abgeschrieben hatten.
Er sah nicht das Chaos der Gegenwart, sondern die Möglichkeit einer Erholung in der Zukunft.
Seine Entscheidung war nicht technischer Natur, sondern Ausdruck seiner Fähigkeit, die emotionale Übertreibung der Märkte zu erkennen.
Templeton vertraute darauf, dass extreme Pessimismusphasen selten dauerhaft sind.
Seine Investitionen waren damit nicht blind mutig, sondern geprägt von der Einsicht, dass Märkte in Panik den inneren Wert von Unternehmen systematisch unterschätzen.
Diese Art der Klarheit ist selten – und sie verlangt eine Persönlichkeit, die Druck aushält.
Howard Marks: Das Pendel der Emotionen
Marks beschreibt Märkte als emotionales Pendel, das ständig zwischen Angst und Gier schwingt. Antizyklisches Investieren bedeutet für ihn, die Bewegung dieses Pendels zu antizipieren und nicht von ihr erfasst zu werden. Seine memofüllende Arbeit bei Oaktree Capital ist im Kern eine Lehre über menschliches Verhalten: Märkte überreagieren, weil Menschen überreagieren.
Marks betont, dass Antizyklik nicht bedeutet, immer gegen den Markt zu sein. Es bedeutet, gegen Übertreibungen zu handeln – nicht gegen Trends, nicht gegen Daten, sondern gegen Stimmungen.
Die menschliche Ebene der Antizyklik
Antizyklisches Investieren ist eine der charakterstärksten Strategien des Marktes. Templeton zeigte, wie man Chancen erkennt, wenn andere nur Risiken sehen."
Antizyklisches Handeln ist schwierig, weil es gegen grundlegende psychologische Mechanismen verstößt:
- Sozialer Druck: Menschen fühlen sich wohler, wenn sie tun, was andere tun.
- Verlustaversion: Verluste wirken emotional stärker als Gewinne.
- Kurzfristiges Denken: Angst macht Zeiträume kleiner.
Antizykliker müssen diese Mechanismen bewusst reflektieren. Sie handeln nicht gegen den Markt, sondern gegen ihre eigenen Reflexe.
Wann Antizyklik funktioniert – und wann nicht
Antizyklisches Investieren setzt voraus, dass Übertreibungen identifizierbar sind. Nicht jeder Kursrückgang ist eine Chance, nicht jede Euphorie ein Verkaufssignal. Die besten antizyklischen Investoren kombinieren daher zwei Fähigkeiten:
- Analyse: Bewertung, Bilanzkraft, Marktumfeld realistisch einschätzen.
- Urteilsstärke: Übertreibungen von realen Risiken unterscheiden.
Templeton kaufte nicht einfach, weil etwas gefallen war. Er kaufte, wenn das Verhältnis zwischen Preis und Perspektive außergewöhnlich attraktiv wurde.
Antizyklik als Form der Selbstständigkeit
Menschen, die antizyklisch investieren, unterscheiden sich häufig durch eine innere Ruhe. Sie können abseits stehen, ohne sich unwohl zu fühlen. Sie könnenGedanken aushalten, die der Mehrheit widersprechen. Und sie bleiben offen für Korrekturen, wenn sich Fakten ändern.
Diese Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ist selten. Antizyklik belohnt nicht Sturheit, sondern Reflexion.
Fazit
Antizyklisches Investieren ist eine der charakterstärksten Strategien des Marktes. Templeton zeigte, wie man Chancen erkennt, wenn andere nur Risiken sehen. Marks analysierte die Mechanismen, die diese Chancen überhaupt erst entstehen lassen. Beide verkörpern eine Haltung der inneren Unabhängigkeit – eine Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen, ohne ihnen zu folgen.
Antizyklik bedeutet, Kauf- und Verkaufsentscheidungen nicht von kollektiven Stimmungen ableiten zu lassen, sondern von einer eigenen, reflektierten Einschätzung. Die Strategie fordert Mut, Geduld und intellektuelle Selbstständigkeit. In ihrer besten Form ist sie weniger ein Vorgehen als eine Lebenshaltung: beruhigt, abwägend, unabhängig.
Erst der Mensch, dann das Geschäft





