Die stärkere Rolle des Staates Der Value-Investor John Maynard Keynes

John Maynard Keynes gilt als einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Ganze Generationen von Wirtschafts- und Finanzpolitikern folgten seinen Empfehlungen. Weniger bekannt ist, dass Keynes nicht nur Nationalökonom war, sondern sich auch als privater Investor versuchte - zunächst mit durchwachsenem Erfolg, zum Schluss aber doch als vermögender Mann.

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 und ihre verheerenden Folgen für viele Volkswirtschaften prägten Keynes. Seine "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" aus dem Jahre 1936 bedeutete einen Paradigmen-Wechsel in der Wirtschaftstheorie. Diese war damals stark durch klassische Vorstellungen von einer Laissez-faire-Marktwirtschaft mit möglichst wenig Staat bestimmt.

Antizyklisch handeln - nicht nur in der Wirtschaftspolitik

Es war Keynes' Idee, dem Staat eine stärker steuernde Rolle in Konjunkturzyklen zuzumessen. Danach sollte die Politik antizyklisch handeln: durch schuldenfinanzierte staatliche Investitionstätigkeit in wirtschaftlichen Rezessionsphasen und Schuldenabbau mit gebremsten Aktivitäten in Boom-Zeiten. So hielt Keynes eine gleichmäßigere wirtschaftliche Entwicklung für möglich. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Keynes'sche Lehre als Leitlinie für zahlreiche Regierungen. In Deutschland wurde sie im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes 1967 sogar gesetzlich verankert. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden Keynes' Vorstellungen zunehmend durch den Monetarismus als Gegenentwurf abgelöst. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Politik gerne den ersten Teil seiner Empfehlungen - schuldenfinanzierte Staatsinvestitionen - befolgte, aber die Entschuldung in besseren Zeiten vergaß.

Gegen den Trend und antizyklisch zu agieren - das zeichnete Keynes zunächst auch als Investor aus. Er beließ es nicht bei Theorie, die er als Hochschullehrer zeitlebens "im Hauptberuf" vertrat. Er versuchte, seine theoretischen Erkenntnisse auch praktisch zu nutzen. Seine intensive Beschäftigung mit den Zusammenhängen von Zinsen, Geld und Kapitalmärkten legten das nahe. Dabei musste auch Keynes die Erfahrung machen, dass richtige theoretische Erkenntnisse, viel Wissen und logischer Verstand keine Erfolgsgaranten sind und manches sich in der Praxis anders entwickelt als gedacht.

Böses Erwachen beim großen Crash 1929

Sein erster Börsenversuch war allerdings ein voller Erfolg. Bereits 1905 - kurz nach seinem Studien-Examen - kaufte er für etwas mehr als 160 Pfund (heute etwa 9.000 Euro) vier Aktien einer britischen Schiffsversicherung. 1918 waren daraus mehr als 16.000 Pfund geworden - ein beachtliches Vermögen, für das Keynes zwischenzeitlich auch große Risiken wie Wertpapierkauf auf Kredit eingegangen war. Doch das sollte nur der Testlauf gewesen sein. Richtig ins Börsengeschäft stieg er erst ab 1919 ein.

Keynes war ein klassischer Value-Investor, lange bevor Warren Buffett mit diesem Ansatz Schlagzeilen machte.

Dabei setzte er zunächst bevorzugt auf Devisen und vertraute auf seine makroökonomischen Kenntnisse, mit deren Hilfe er die langfristige Entwicklung von Wechselkursrelationen prognostizierte. Dementsprechend kaufte oder verkaufte er antizyklisch - wiederum mit hohem Risiko und Hebel-Effekt. Obwohl seine Prognosen durchaus zutreffend waren, schützten sie ihn nicht vor Verlusten. Denn es gab immer wieder - durchaus längere - Phasen, in denen der Markt sich "nicht logisch" verhielt. Im Endeffekt konnte er sein Vermögen zwar retten, performte aber nicht besser als der Schnitt. Der Börsencrash 1929 warf dann alle seine Prognosen über den Haufen und Keynes machte - wie zahllose andere - hohe Verluste. 

Erfolgreich - Wandlung zum Value Investor

Danach änderte er seine Strategie grundlegend. Antizyklisches Handeln überließ er fortan der Wirtschaftspolitik und setzte auf Basis eigener Analysen auf unterbewertete Aktien von Unternehmen, von deren Erfolgsaussichten er auf lange Sicht überzeugt war. Ähnlich hatte er bereits in den 1920er Jahren als Verwalter des Stiftungs-Vermögens des King's College - seiner Universität - agiert. Dies zahlte sich tatsächlich aus. Als Keynes 1946 starb, hatte er ein Vermögen von fast 460.000 Pfund angesammelt - nach heutigem Wert mehr als 24 Mio. Euro.

Damit war Keynes ein klassischer Value-Investor, lange bevor Warren Buffett mit diesem Ansatz Schlagzeilen machte. Es ist die unbekannte Seite des berühmten Ökonomen. Keynes' Metamorphose vom Spekulanten zum "fundamental ausgerichteten" Investor ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Value-Ansatz einen nachhaltigen Erfolg verspricht.

 

Ein Artikel von Reiner Braun.