Finanzlexikon Erbschaftssteuer und Vermögensverteilung
Die Erbschaftssteuer zählt zu den wenigen Steuerarten, die direkt auf die private Vermögensverteilung einwirken können.
In einer Gesellschaft mit zunehmender Vermögenskonzentration stellt sich deshalb verstärkt die Frage, ob und wie die Erbschaftssteuer zu mehr Chancengleichheit und sozialem Ausgleich beitragen kann. Deutschland bildet in dieser Hinsicht ein interessantes Fallbeispiel: Einerseits ist das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer im internationalen Vergleich eher moderat, andererseits nimmt die Bedeutung von Erbschaften und Schenkungen für die Vermögensbildung stetig zu.
Vermögen wird zunehmend vererbt – nicht verdient
In Deutschland wird ein großer Teil des privaten Vermögens nicht mehr durch Erwerbseinkommen oder unternehmerische Tätigkeit aufgebaut, sondern durch Erbschaften und vorweggenommene Schenkungen übertragen. Studien zeigen, dass insbesondere in der oberen Vermögenshälfte ein Großteil des Wohlstands nicht selbst erwirtschaftet, sondern aus dem familiären Kontext übernommen wird.
Diese Entwicklung hat weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen: Die Erbschaft wirkt als Multiplikator bestehender Ungleichheit. Wer bereits aus vermögenden Verhältnissen stammt, hat deutlich bessere Startbedingungen – sei es beim Immobilienerwerb, beim Bildungszugang oder bei unternehmerischen Aktivitäten. Die Erbschaftssteuer wird damit zum zentralen Hebel, um den Übergang großer Vermögen zumindest partiell zu regulieren.
Ein Instrument mit begrenzter Wirkungskraft
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Trotz dieser theoretischen Bedeutung ist der reale Beitrag der Erbschaftssteuer zur Umverteilung begrenzt. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Hohe Freibeträge: Enge Familienangehörige, insbesondere Ehepartner und Kinder, profitieren von hohen steuerfreien Beträgen. Das schützt kleinere Nachlässe, schränkt aber auch die Umverteilungswirkung bei größeren Vermögen ein.
- Verschonung von Betriebsvermögen: Familienunternehmen können unter bestimmten Bedingungen nahezu steuerfrei übertragen werden. Zwar dient dies der Sicherung von Arbeitsplätzen, verringert aber die fiskalische Schlagkraft der Steuer erheblich.
- Individuelle Gestaltungen: Viele Vermögende nutzen steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, etwa durch gestaffelte Schenkungen, ausländische Strukturen oder Familienstiftungen. Das erfordert kaum illegale Schlupflöcher, sondern nutzt legale Spielräume.
In der Praxis bleibt der fiskalische Beitrag der Erbschaftssteuer daher gering – gemessen an der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Vermögensübertragungen.
Politische Debatte zwischen Gerechtigkeit und Eigentumsschutz
Die Erbschaftssteuer ist in Deutschland mehr als ein fiskalisches Detail. Sie steht exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung. Ihre Wirkung auf die reale Vermögensverteilung ist begrenzt, aber nicht unbedeutend – vor allem dann, wenn sie konsequent ausgestaltet und kontrolliert wird."
Die Diskussion über eine Reform der Erbschaftssteuer ist in Deutschland hochgradig politisiert. Befürworter einer stärkeren Besteuerung großer Erbschaften argumentieren, dass die wachsende Vermögenskonzentration demokratische Gleichheit und sozialen Aufstieg untergräbt. Wer durch Geburt Zugang zu Kapital erhält, hat systematisch bessere Chancen als Menschen ohne familiären Rückhalt.
Gegner hingegen betonen das Grundrecht auf Eigentum und die emotionale Bedeutung des Vererbens als Form der generationenübergreifenden Fürsorge. Sie warnen vor einer vermeintlichen „Doppelbesteuerung“ von Vermögen, das bereits zu Lebzeiten versteuert wurde, und sehen in einer zu hohen Erbschaftssteuer einen Angriff auf die Mittelschicht und das Unternehmertum.
Diese konträren Positionen machen Kompromisse schwierig. Reformvorschläge – etwa die Senkung der Freibeträge für sehr hohe Erbschaften, die stärkere Besteuerung von Vermögen ohne familiären Bezug oder die Ausweitung von Meldepflichten – stoßen regelmäßig auf Widerstand.
Symbolische vs. reale Wirkung
Unabhängig vom konkreten Steuersatz erfüllt die Erbschaftssteuer auch eine symbolische Funktion. Sie signalisiert, dass in einer offenen Gesellschaft Vermögen nicht ausschließlich privat vererbt, sondern auch einem Gemeinwohlbeitrag unterzogen wird. Insofern trägt sie zu einer moralischen Legitimation von Chancengleichheit bei – selbst wenn ihre ökonomische Wirkung begrenzt bleibt.
Gleichzeitig wirft sie die Frage auf, wie ernst es eine Gesellschaft mit sozialer Mobilität meint. Denn wo Vermögen über Generationen hinweg steuerlich nahezu unangetastet bleibt, entstehen faktische Vermögensdynastien – mit allen Konsequenzen für wirtschaftliche Machtverhältnisse, politischen Einfluss und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Fazit: Steuerpolitische Stellschraube mit struktureller Bedeutung
Die Erbschaftssteuer ist in Deutschland mehr als ein fiskalisches Detail. Sie steht exemplarisch für das Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung. Ihre Wirkung auf die reale Vermögensverteilung ist begrenzt, aber nicht unbedeutend – vor allem dann, wenn sie konsequent ausgestaltet und kontrolliert wird.
Für eine gerechtere Vermögensstruktur braucht es allerdings mehr als eine punktuelle Steuer. Notwendig ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Vermögensverhältnisse, soziale Aufstiegschancen und intergenerationelle Verantwortung. Die Erbschaftssteuer ist dabei ein Baustein – und ein Prüfstein für den politischen Willen zur Verteilungsgerechtigkeit.

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