Pictet-Studie Schwellenländer sind bereits da
Lange galt eine scheinbar einfache Logik auf den Kapitalmärkten: Wer an Schwellenländer denkt, denkt an hohe Wachstumsraten, dynamische Bevölkerungsentwicklungen, aber auch an Instabilität, politische Unsicherheit und Währungsrisiken.
Schwellenländer galten als volatil, aber lohnend – als Beimischung im Portfolio, als renditeträchtige Ergänzung zu den etablierten Märkten in den USA, Europa und Japan. Doch dieses Bild ist nicht mehr zeitgemäß. Laut einer aktuellen Studie des Schweizer Vermögensverwalters Pictet Asset Management steht die Welt vor einem strukturellen Wandel, der alte Zuordnungen und gewohnte Denkmuster auf den Kopf stellt. Die Rolle der sogenannten Emerging Markets verändert sich tiefgreifend – und damit auch ihre Bedeutung für Anleger weltweit.
Geopolitischer Wandel verändert Handelsströme und Kapitalflüsse
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Im Zentrum der Pictet-Analyse steht die Beobachtung, dass sich die Weltwirtschaft zunehmend in regionale Blöcke aufspaltet.
Die Phase der radikalen Globalisierung, die über Jahrzehnte hinweg die internationale Arbeitsteilung geprägt hat, befindet sich demnach in einem Rückzugsmodus.
Statt eines einheitlichen Weltmarktes entstehen neue Handels- und Machtzentren, die sich stärker auf sich selbst konzentrieren:
- Asien, rund um China, Indien und Südostasien.
- Amerika, mit einem US-zentrierten Handelsraum.
- Europa, das versucht, wirtschaftlich resilienter zu werden.
Der internationale Warenaustausch – einst der Herzschlag der globalisierten Welt – verliert an Dynamik.
Dafür wächst der interne Handel innerhalb dieser Blöcke. Das bedeutet: Länder wie Indonesien, Mexiko oder Vietnam werden nicht mehr nur als Exportplattformen für westliche Märkte gesehen, sondern entwickeln zunehmend eigenständige wirtschaftliche Gravitation.
Schwellenländer sind nicht mehr nur „auf dem Weg“, sie sind da
Ein zentrales Ergebnis der Pictet-Studie lautet: Der Begriff „Schwellenland“ wird seiner ursprünglichen Bedeutung nicht mehr gerecht. Viele der einst als „Emerging Markets“ bezeichneten Volkswirtschaften haben sich längst strukturell gefestigt, institutionell weiterentwickelt und technologisch aufgeholt.
- Indien entwickelt sich zum globalen IT-Hub mit geopolitischer Bedeutung.
- Indonesien und die ASEAN-Staaten profitieren vom „China+1“-Trend der Industrie.
- Brasilien und Mexiko positionieren sich als Energie- und Produktionsstandorte für den amerikanischen Kontinent.
- Südafrika, Nigeria und Ägypten entwickeln sich zu Knotenpunkten regionaler Wertschöpfung.
Diese Länder sind nicht mehr peripher, sondern integraler Bestandteil neuer globaler Machtachsen. Das bedeutet auch für Investoren: Wer Emerging Markets noch immer mit Rohstoffabhängigkeit, Korruption und Instabilität gleichsetzt, übersieht die tatsächliche Dynamik.
Neue Risiken – und neue Chancen für Anleger
Denn wer heute in „Schwellenländer“ investiert, investiert nicht mehr nur in Wachstum, sondern in eine neue globale Ordnung, die gerade erst entsteht. Und genau das macht diese Märkte so spannend – und so bedeutsam für jedes zukunftsorientierte Portfolio."
Natürlich verschwinden die Risiken in Schwellenländern nicht. Währungsvolatilität, politische Unwägbarkeiten und rechtliche Unsicherheiten bleiben Teil der Gleichung. Doch sie treten in den Hintergrund gegenüber neuen strategischen Fragestellungen.
Laut Pictet ist entscheidend, wie Schwellenländer mit der neuen Weltordnung umgehen – ob sie eigene Lieferketten aufbauen, Innovationen fördern und Kapital anziehen können. Der Zugang zu Energie, die geopolitische Positionierung, aber auch die Fähigkeit, nachhaltige Infrastruktur und Bildungssysteme zu entwickeln, wird zum eigentlichen Kriterium für Attraktivität.
Für Anleger eröffnen sich daraus neue Möglichkeiten:
- Investitionen in lokale Infrastrukturprojekte und Versorgungsnetze.
- Exposure gegenüber regionalen Konsummärkten, die unabhängiger vom Westen werden.
- Chancen in grüner Energie, digitaler Transformation und Gesundheitswesen.
Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Index, sondern die Fähigkeit zur Resilienz, Eigenständigkeit und Kooperation innerhalb regionaler Cluster wird zum Auswahlkriterium.
Ein Paradigmenwechsel auch für Portfoliostrategien
Die Folgerung der Pictet-Studie ist klar: Die Rolle von Schwellenländern in der Portfolioallokation muss neu gedacht werden.
- Es reicht nicht mehr, einen pauschalen „Emerging Markets“-ETF ins Depot zu legen.
- Es geht darum, differenziert nach Regionen, Themen und politischen Realitäten zu investieren.
- Klassische Aufteilungen in „entwickelte“ und „aufstrebende“ Märkte verlieren an Aussagekraft.
Stattdessen gewinnen längerfristige Megatrends an Bedeutung: Demografie, Urbanisierung, Digitalisierung, Energieautarkie. In vielen dieser Felder haben Schwellenländer nicht nur Nachholbedarf, sondern Vorsprung – und werden zu Innovatoren in eigener Sache.
Fazit: Wer Schwellenländer richtig versteht, erkennt die Welt von morgen
Die Pictet-Studie ist ein Weckruf für alle, die Schwellenländer noch immer durch die Brille vergangener Jahrzehnte betrachten. In einer Welt zunehmender geopolitischer Spannung, regionaler Integration und wirtschaftlicher Eigenständigkeit gewinnen viele dieser Staaten eine neue Qualität – als Partner, als Märkte, als Innovationszentren.
Für Investoren bedeutet das: Es braucht mehr Analyse, mehr Differenzierung – und mehr Offenheit für neue Narrative.
Freiräume schaffen für ein gutes Leben.