Langfristig denken Zinsen sinken schon seit dem Mittelalter
Niedrige Zinsen - eine Folge von Mario Draghis ultralockerer Geldpolitik? Nicht wenn es nach dem Ökonomen Paul Schmelzing von der Yale-Universität geht. Danach sinken die Zinsen bereits seit über 600 Jahren. Von einer Niedrigzinsphase kann man da kaum sprechen, eher von einem Dauerzustand mit Schwankungen.
Drei historische Kreditaufnahmen verdeutlichen den Zinsverfall: der englische König Edward III. erhielt im 14. Jahrhundert Geld aus Flandern zu 35 Prozent Zins. Einer seiner späteren Nachfolger, Karl II., konnte im 17. Jahrhundert schon für 16 Prozent Kredit aufnehmen. Im 19. Jahrhundert bekam der Vatikan von den berühmten Rothschilds Kredit für 6 Prozent. Im Schnitt sei der Realzins um etwa 0,6 bis 1,6 Basispunkte jährlich zurückgegangen, rechnet Schmelzing vor.
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Geldpolitik eigentlich ohne Effekt
Die Zinsentwicklung der letzten Jahre würde sich damit ziemlich nahtlos in einen sehr langfristigen Trend einfügen und alle jene Lügen strafen, die der EZB und anderen Notenbanken Zinsmanipulationen nach unten vorwerfen. Gleichzeitig wäre aber auch die Wirksamkeit der Geldpolitik in Frage gestellt. Denn über kurzfristige Zinseffekte hinaus hätte sie praktisch keinen Einfluss. Allerdings gibt es Notenbanken erst seit dem 17. Jahrhundert. Die 1694 gegründete Bank of England, für die Schmelzing derzeit arbeitet, ist eine der ältesten.
Sinkendes Risiko - niedrigere Risikoprämien
Über Ursachen für den jahrhundertelangen Zinsverfall stellt Schmelzing nur Vermutungen an. Für ihn ist das Kreditrisiko ein wichtiger Erklärungsfaktor. Bewegte sich die Kreditvergabe im Mittelalter noch unter sehr unsicheren Bedingungen, bei denen der Kreditgeber nie gewiss sein konnte, sein Geld auch zurückzuerhalten und daher einen hohen Risikozuschlag beim Zins verlangen musste, ist das Kreditrisiko durch mehr Rechtssicherheit und einen starken Staat immer geringer geworden. Ergo sanken die Risikoprämien beim Kreditzins und Kredite wurden billiger.
Die Zinsentwicklung der letzten Jahre würde sich damit ziemlich nahtlos in einen sehr langfristigen Trend einfügen."
Economies of Scale
Eine andere Erklärung ist die Institutionalisierung und Professionalisierung des Kreditwesens. Banken im heutigen Sinne gab es im Mittelalter nicht. Eine Kreditwirtschaft wie wir sie heute kennen, ist erst im Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden.
Sie hat zu einer "Massenproduktion" an Geldtransaktionen und Kreditvergaben geführt, mit "economies of scale" wie bei anderen Massenfertigungen auch, die wegen niedrigerer Produktionskosten zu sinkenden Preisen führen. Und der Zins ist letztlich nichts anderes als der Preis des Geldes.
Autor: Tobias Riefe