Finanzlexikon Die nächste KI-Revolution im Banking
Von GenAI zu Agentic AI – vom Antwort-Tool zum handelnden System
Die erste Welle generativer KI hat Banken Texte zusammenfassen, E-Mails verfassen und Code skizzieren lassen. Nützlich – aber meist assistiv. Die nächste Etappe heißt Agentic AI: KI-Systeme, die Ziele verstehen, mehrstufig planen, Aktionen selbst ausführen (oder simulieren), aus Feedback lernen und andere Systeme orchestrieren – unter klarer Aufsicht. Für Banken bedeutet das den Sprung von „Antworten generieren“ zu Workflows abwickeln: nicht nur beraten, sondern Handlungen durchführen, mit Kontrollen, Protokollen und Haftungsrahmen.
Was sich grundlegend ändert
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GenAI liefert Inhalt auf Zuruf.
Agentic AI verfolgt Ziele mithilfe von Planungs- und Ausführungsschritten, ruft Tools auf (Kernbank, CRM, Zahlungsverkehr), prüft Zwischenergebnisse und passt den Plan an.
Drei Konsequenzen:
- Vom Prompt zur Policy: Nicht mehr die einzelne Frage zählt, sondern Guardrails, Rollen und Freigabegrenzen.
- Vom Menschen-in-the-Loop zum Mensch-am-Steuerrad: Frontline entscheidet über Rahmen, Agenten handeln im Rahmen.
- Vom Nutzen pro Task zum Nutzen pro Prozess: Effizienz entsteht dort, wo Medienbrüche verschwinden.
Architekturmuster für Agentic Banking
Agenten brauchen Werkzeugzugriff. Dazu etabliert sich eine Schicht zwischen Modell und Fachsystemen:
- Tool-Layer: Standardisierte, geprüfte Funktionsaufrufe (z. B. „IBAN prüfen“, „KYC-Status abfragen“, „Kreditrate simulieren“).
- Orchestrator: Plant Schritte, verwaltet Kontext, bricht ab bei Policy-Verstößen, schreibt lückenloses Protokoll.
- Policy-Engine: Durchsetzt Sanktionslisten, MiFID/MaRisk-Regeln, Schwellenwerte, Vier-Augen-Prinzip.
- Feedback-Loop: Aus Nutzerfeedback und Auditdaten entsteht kontrolliertes Lernen (ohne Kundendaten zu exfiltrieren).
So wird das Modell austauschbar; die Bankfähigkeit steckt in Tools, Policies und Protokollen.
Priorisierte Einsatzfelder – dort, wo Agenten heute schon rechnen
Front-Office (Beratung & Service)
- Self-Serve-Agent im Mobile-Banking, der Anträge vorbereitet, Limits setzt, Karten sperrt, Adressänderungen vornimmt – mit sofortiger Rückmeldung und sicherem Abschluss.
- Beratungs-Kopilot im Filial-/Callcenter: führt strukturierte Bedarfserhebung, simuliert Szenarien (Raten, Laufzeit, Sicherheiten), erstellt Protokoll und Next Best Action – alles auditierbar.
Middle-Office (Risiko & Compliance)
- KYC/KYB-Agent: sammelt Register- und Dokumentdaten, erkennt Lücken, fordert gezielt nach, baut Dossiers und schlägt risikoadäquate Checks vor.
- Trade-Surveillance-Agent: korreliert Kommunikation, Orders, Preisbewegungen, markiert True-Positive-Wahrscheinlichkeiten und bündelt Fälle für Reviewer.
Back-Office (Operations & IT)
- Exception-Handling-Agent im Zahlungsverkehr: klassifiziert Rückläufer, bucht korrekt um, öffnet Tickets nur bei echten Klärfällen.
- DevOps-Agent: rollt Runbooks aus, prüft Logs, startet sichere Rollbacks – nur innerhalb freigegebener Playbooks.
Steuerung & Haftung: Vom Prompt zur Governance
Agenten ohne Governance sind nur schnellere Fehler. Entscheidend sind fünf Kontrollen:
- Role-Based Access: Agenten haben weniger Rechte als Mitarbeitende; jede Aktion ist minimiert und revokabel.
- Ex-ante-Kontrollen: Policies verhindern verbotene Aktionen (z. B. Zahlungen > X € ohne Freigabe).
- Ex-post-Transparenz: Jede Entscheidung mit Begründungspfad (welche Daten, welcher Tool-Call, welches Regelwerk).
- Test-Harness: Sandboxes mit synthetischen Daten, Regressionstests für Prompts, Tools, Policies.
- Incident-Playbook: Was passiert bei Halluzination, Datenleck, falscher Order? Zuständigkeiten, Abschalt-Schalter, Kundenkommunikation.
Daten, Sicherheit, Vertraulichkeit
Der Sprung von GenAI zu Agentic AI ist für Banken kein Luxus, sondern der Weg vom sprechenden Wissenswerkzeug zum handelnden Prozessmotor."
Banken sollten Datendomänen klar trennen: Kundendaten, Model-Telemetry, Protokolle. Sensible Inhalte bleiben im Perimeter; externe Modelle erhalten nur abgeleitete oder synthetische Kontexte. Wichtige Prinzipien:
- Least Data Necessary pro Schritt.
- Red-Team-ing gegen Prompt Injections, Data Exfiltration und Tool-Missbrauch.
- Key- und Secrets-Management getrennt vom Agenten-Kontext.
Betriebsmodell: Wer „besitzt“ den Agenten?
Agenten brauchen Produkteigentümer. Drei Rollen sind zentral:
- Business Owner verantwortet Nutzen, KPIs, Freigabeschwellen.
- Risk/Compliance Owner verantwortet Policies, Tests, Audit.
- Engineering Owner verantwortet Tool-Schnittstellen, Observability, SLOs.
Ohne diese Trias enden Agenten als Piloten ohne Heimat.
Erfolgsmessung jenseits der Demo
PowerPoints sparen keine Kosten. Messen Sie:
- Durchlaufzeit kompletter Prozesse (statt Ticket-Zeit).
- First-Contact-Resolution im Service.
- False-Positive-Rate in Compliance-Alerts.
- Kontrollbefunde: Policy-Verstöße pro 1.000 Aktionen, Mean-Time-to-Abort.
- CSAT/NPS bei Self-Serve-Flows – mitsamt Abbruchgründen.
Nur wer End-to-End misst, sieht den echten ROI.
Change & Akzeptanz: Menschen befähigen, nicht ersetzen
Agentic AI verschiebt Arbeit: Routine weicht Supervision, Fallarbeit wird qualitativer. Das gelingt, wenn Sie:
- Rollen und Karrierepfade für „Agent Supervisors“ definieren.
- Schulungen auf Policy-Verständnis statt Prompt-Kunst fokussieren.
- Transparente Kommunikation über Ziele, Grenzen und Mitbestimmung pflegen.
Eine machbare 180-Tage-Roadmap
- Zwei kritische Use-Cases auswählen (z. B. Adressänderung + KYC-Nachforderung).
- Tool-Layer bauen (5–10 freigegebene Funktionen, stark geloggt).
- Policy-Engine mit Freigabegrenzen definieren; Sandbox mit synthetischen Daten.
- Pilot mit echten Mitarbeitenden, Shadow-Mode für 4–6 Wochen; danach stufenweise Freigabe.
- Review & Skalierung: KPIs, Incident-Report, Auditor-Abnahme, dann weitere Tools anbinden.
Fazit
Der Sprung von GenAI zu Agentic AI ist für Banken kein Luxus, sondern der Weg vom sprechenden Wissenswerkzeug zum handelnden Prozessmotor. Wer Agenten mit Tool-Disziplin, Policy-Rampen und Audit-Transparenz baut, verlagert Wertschöpfung von der Antwort zur Aktion – schneller, konsistenter, revisionssicher. Die Technologie ist reif genug, um in klar umrissenen Prozessen heute Nutzen zu stiften. Der Unterschied zwischen Hype und Hebel liegt nicht im Modell, sondern im Betriebssystem der Bank: Tools, Policies, Protokolle – und Menschen, die das steuern.
"Finanzplanung ist Lebensplanung - Geben Sie beidem nachhaltig Sinn!"






