Finanzlexikon Indexfonds im Praxistest
Der Mythos vom passiven Investment
Indexfonds – insbesondere Exchange Traded Funds (ETFs) – gelten als Inbegriff des passiven Investierens. Statt einzelne Aktien oder Anleihen auszuwählen, bildet ein Fonds schlicht die Zusammensetzung eines Börsenindex nach. Anleger sparen sich damit die Mühe der aktiven Titelauswahl, profitieren von breiter Diversifikation und zahlen geringere Gebühren. Diese Einfachheit hat den Siegeszug der ETFs in den vergangenen zwei Jahrzehnten entscheidend befeuert.
Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: So passiv, wie es auf den ersten Blick scheint, ist Indexinvestieren gar nicht. Hinter der vermeintlich simplen Methode stecken methodische Entscheidungen, operative Eingriffe und nicht zuletzt ein erheblicher Einfluss auf die Märkte selbst.
Konstruktion bestimmt die Strategie
Bereits bei der Auswahl des Index entscheidet sich, wie „passiv“ ein Investment wirklich ist. Anleger, die in den MSCI World investieren, glauben oft, die ganze Welt abzudecken. Tatsächlich besteht der Index jedoch zu einem Großteil aus US-Aktien, da er nach Marktkapitalisierung gewichtet ist. Andere Länder und Regionen sind stark unterrepräsentiert.
Auch thematische Indizes wie Nachhaltigkeits- oder Technologiewerte sind alles andere als neutral. Hier greifen Kriterien wie ESG-Scores oder branchenspezifische Kennzahlen, die aktiv festgelegt werden. Wer einen ETF auf einen solchen Index kauft, übernimmt damit implizit die Entscheidungen der Indexanbieter – und damit eine aktive Setzung von Schwerpunkten.
Stille Eingriffe der Fondsanbieter
Indexfonds sind ein mächtiges Instrument für den Vermögensaufbau und haben die Geldanlage demokratisiert. Doch die Vorstellung, es handle sich um vollständig passive Investments, greift zu kurz. Hinter den Kulissen steuern Indexanbieter und Fondsmanager zahlreiche Prozesse, die am Ende über Gewichtungen, Risiken und Schwerpunkte entscheiden."
Selbst nachgebildete Indizes erfordern Eingriffe. Wenn sich die Zusammensetzung eines Index ändert, weil Unternehmen aufgenommen oder ausgeschlossen werden, muss der Fonds reagieren. Fondsmanager kaufen und verkaufen also regelmäßig Wertpapiere, um die Indexstruktur nachzubilden. Dies ist zwar mechanisch vorgegeben, aber alles andere als passiv im Sinne völliger Untätigkeit.
Hinzu kommen technische Anpassungen: Dividenden müssen berücksichtigt, Kapitalmaßnahmen wie Splits oder Übernahmen korrekt verarbeitet werden. Die Verwaltung eines Indexfonds ist ein permanenter Prozess, auch wenn er sich im Hintergrund abspielt.
Der Einfluss auf die Märkte
Ein weiterer Aspekt zeigt, dass Indexfonds keine passiven Beobachter sind, sondern aktive Marktteilnehmer: Ihre schiere Größe. Mittlerweile fließen weltweit Billionen US-Dollar in ETFs. Diese Summen haben zur Folge, dass die Nachfrage nach Aktien bestimmter Indizes den Markt selbst beeinflusst.
Wenn etwa ein Unternehmen in den S&P 500 aufgenommen wird, steigt sein Kurs oft schon im Vorfeld, weil Investoren wissen: Indexfonds müssen diese Aktie kaufen. Umgekehrt kann ein Ausschluss Druck auf den Kurs ausüben. Damit sind ETFs längst nicht mehr nur Abbild der Märkte – sie gestalten sie mit.
Grenzen des passiven Ansatzes
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Das Konzept des passiven Investierens bringt zweifellos Vorteile:
- Geringere Kosten im Vergleich zu aktiv gemanagten Fonds.
- Breite Diversifikation ohne hohen Aufwand.
- Transparenz durch klare Regeln des Index.
Doch es gibt auch Grenzen.
Die Abhängigkeit von der Methodik der Indexanbieter kann zu Klumpenrisiken führen, etwa wenn ganze Branchen übergewichtet sind.
Zudem besteht die Gefahr, dass Investoren sich in falscher Sicherheit wiegen, wenn sie den Begriff „passiv“ wörtlich nehmen und nicht hinterfragen, wie die Indexkonstruktion funktioniert.
Fazit – passiv ist nicht gleich neutral
Indexfonds sind ein mächtiges Instrument für den Vermögensaufbau und haben die Geldanlage demokratisiert. Doch die Vorstellung, es handle sich um vollständig passive Investments, greift zu kurz. Hinter den Kulissen steuern Indexanbieter und Fondsmanager zahlreiche Prozesse, die am Ende über Gewichtungen, Risiken und Schwerpunkte entscheiden.
Für Anleger bedeutet das: Wer in ETFs investiert, sollte verstehen, wie der zugrunde liegende Index aufgebaut ist und welche Konsequenzen das für die Geldanlage hat. Passives Investieren ist damit weniger eine Abwesenheit von Strategie – sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung, sich den Regeln einer fremden Strategie anzuvertrauen.
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