Finanzlexikon Mythen und Realität: Staatsanleihen
Staatsanleihen als risikolose Geldanlage
„Sichere Häfen“ – so werden Staatsanleihen traditionell bezeichnet. Vor allem deutsche Bundesanleihen oder US-Treasuries galten über Jahrzehnte als Synonym für Risikolosigkeit. Wer sein Geld dort anlegte, so die landläufige Überzeugung, musste zwar keine hohen Renditen erwarten, dafür aber absolute Sicherheit. Doch stimmt das wirklich? Der Rückblick zeigt: Auch Staatsanleihen sind nicht frei von Risiken – weder historisch noch in der Gegenwart.
Der Mythos vom risikolosen Zins
Die Vorstellung, dass Staatsanleihen risikolos seien, beruht auf drei Annahmen:
- Staaten können nicht pleitegehen. Sie haben immer die Möglichkeit, Steuern zu erhöhen oder Geld zu drucken.
- Zinszahlungen sind garantiert. Im Gegensatz zu Unternehmensanleihen oder Aktien gilt die Zahlungsfähigkeit als sicher.
- Anleihen schwanken kaum. Wer sie bis zur Endfälligkeit hält, bekommt sein Kapital verlässlich zurück.
Diese Annahmen prägten Generationen von Anlegern. Gerade deutsche Bundesanleihen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum „sicheren Hafen“ schlechthin.
Realität im historischen Rückblick
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Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Staatsanleihen keineswegs frei von Risiken sind:
- Staatspleiten: Argentinien (2001, 2020), Russland (1998, 2022) oder Griechenland (2012) haben gezeigt, dass Staaten sehr wohl zahlungsunfähig werden können. Anleger mussten massive Verluste hinnehmen.
- Inflationsverluste: In Deutschland wurden Staatsanleihen in den 1920er-Jahren und nach 1945 praktisch wertlos. Selbst in den 1970er-Jahren verloren Anleihebesitzer durch zweistellige Inflationsraten real große Teile ihres Vermögens.
- Zinsänderungsrisiken: In den Nuller- und 2010er-Jahren sorgte die Niedrigzinsphase zwar für steigende Kurse bestehender Anleihen, doch mit der Zinswende ab 2022 kehrte sich das Bild um. Zehnjährige Bundesanleihen verloren zwischen 2021 und 2022 rund 20 % an Marktwert.
Die Realität lautet: Staatsanleihen sind sicher gegen den Totalausfall in stabilen Ländern – aber keineswegs gegen Kaufkraftverluste oder Kursrisiken.
Die Zinswende als Weckruf
Nach Jahren, in denen Anleihen kaum Ertrag boten, kam 2022 die Zinswende.
- Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen stieg von –0,2 % Anfang 2022 auf über 2 % Ende des Jahres, zeitweise sogar über 3 %.
- Für Anleger, die zuvor hochpreisig gekauft hatten, bedeutete das erhebliche Kursverluste – ein Vorgang, der den Mythos der Stabilität nachhaltig erschütterte.
- Auch in den USA kam es zu einem historischen Einbruch: 2022 verzeichneten US-Staatsanleihen das schlechteste Jahr seit über 200 Jahren.
Diese Entwicklung verdeutlichte: Sicherheit bedeutet nicht Stabilität des Preises, sondern nur die Garantie der Rückzahlung bei Endfälligkeit.
Psychologische Dimension
Staatsanleihen sind wichtig, aber kein Wundermittel. Sie stabilisieren Portfolios, liefern verlässliche Zahlungen und reduzieren Schwankungen. Doch der Mythos von der absoluten Risikolosigkeit ist gefährlich. Anleger sollten Staatsanleihen als das sehen, was sie sind: ein Werkzeug zur Stabilität – aber nicht der Schlüssel zum Vermögensaufbau."
Warum hält sich der Mythos dennoch? Weil Staatsanleihen im Vergleich zu anderen Anlagen tatsächlich weniger volatil sind – zumindest über kürzere Zeiträume. Zudem genießen sie den Ruf, dass „der Staat schon immer zahlt“. In Ländern wie Deutschland oder den USA ist das Vertrauen in staatliche Zahlungsfähigkeit extrem hoch, was die Illusion der Risikolosigkeit nährt.
Für viele institutionelle Anleger – etwa Versicherungen oder Pensionskassen – sind Staatsanleihen nach wie vor Pflichtbaustein, weil sie regulatorisch als risikofrei gelten.
Lehren für Anleger
Die Geschichte zeigt:
- Ja, Staatsanleihen sind sicherer als viele andere Anlageformen. Ein Totalausfall ist in stabilen Ländern extrem unwahrscheinlich.
- Nein, sie sind nicht risikolos. Inflation und Zinsänderungen können reale Verluste verursachen, die über Jahrzehnte hinweg Vermögen entwerten.
- Der Zeithorizont ist entscheidend. Wer Anleihen bis zur Fälligkeit hält, hat Planungssicherheit. Wer sie handelt, trägt Kursrisiken.
Fazit
Staatsanleihen sind wichtig, aber kein Wundermittel. Sie stabilisieren Portfolios, liefern verlässliche Zahlungen und reduzieren Schwankungen. Doch der Mythos von der absoluten Risikolosigkeit ist gefährlich. Anleger sollten Staatsanleihen als das sehen, was sie sind: ein Werkzeug zur Stabilität – aber nicht der Schlüssel zum Vermögensaufbau.
Freiräume schaffen für ein gutes Leben.