Die Euphorie rund um Künstliche Intelligenz ist berechtigt – ebenso wie die Sorge vor übertriebenen Versprechen

Zweifel am echten Nutzen Neu: KI-Washing

Künstliche Intelligenz ist zum wirtschaftlichen Megatrend geworden. Kaum eine Unternehmenspräsentation, die ohne den Begriff „AI“ auskommt, kaum ein Strategiepapier, das nicht mit Zukunftsperspektiven durch datengetriebene Systeme aufgeladen ist. Für Investoren ist das ein doppelter Reiz: Einerseits lockt das Versprechen exponentiellen Wachstums, andererseits herrscht zunehmend Misstrauen – denn nicht überall, wo KI draufsteht, ist auch tatsächlich KI drin.

Eine aktuelle Umfrage unter institutionellen Investoren und Asset Managern legt nahe, dass ein erheblicher Teil der Marktteilnehmer von einem inflationären und teils irreführenden Einsatz von KI-bezogenen Aussagen ausgeht. Immer mehr Unternehmen würden laut Einschätzung der Befragten den Hype um Künstliche Intelligenz nutzen, um eigene Geschäftsmodelle aufzuwerten – ohne dass die technologische Substanz die Ankündigungen deckt. Der Begriff „KI-Washing“ hat sich als kritische Bezeichnung für dieses Phänomen etabliert – in Anlehnung an das bereits bekannte „Greenwashing“.


Was die Umfrage zeigt: Große Zweifel an Glaubwürdigkeit

Die Ergebnisse der Erhebung sind deutlich: Mehr als zwei Drittel der befragten institutionellen Anleger gehen davon aus, dass viele börsennotierte Unternehmen ihre Aussagen zum KI-Einsatz überzeichnen oder bewusst übertreiben.

Besonders betroffen seien technologieferne Branchen, die versuchen, über narrative Schlagworte wie „Machine Learning“, „automatisierte Entscheidungsprozesse“ oder „AI-driven“ ein Innovationsimage zu erzeugen, ohne dass diese Begriffe im operativen Alltag eine tragende Rolle spielen.

Ein signifikanter Anteil der Befragten beklagt zudem, dass der Markt in Teilen nicht in der Lage sei, echte von vermeintlicher KI-Integration zu unterscheiden, da die meisten Unternehmen weder ihre Systeme offenlegen noch nachvollziehbar erklären, wie und wo Künstliche Intelligenz konkret zum Einsatz kommt.

Die Folgen sind spürbar: Analysten und Fondsmanager entwickeln zunehmende Skepsis gegenüber pauschalen KI-Versprechen und fordern mehr Transparenz – etwa durch konkrete Anwendungsbeispiele, technische Detaileinblicke oder belastbare betriebswirtschaftliche Effekte.


Die Motivation hinter dem „KI-Washing“

Für Unternehmen ist die Versuchung groß: Wer in der Lage ist, seine Produkte, Prozesse oder Strategien mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ zu verknüpfen, kann sich auf kurzfristige Aufmerksamkeitsgewinne an den Kapitalmärkten verlassen. Aktienkurse reagieren häufig positiv auf Ankündigungen neuer KI-Initiativen, Investoren zeigen verstärktes Interesse, Medien berichten mit hoher Reichweite.

Besonders in einem Umfeld, in dem Innovation als zentrales Bewertungskriterium gilt und KI als Schlüsseltechnologie der kommenden Jahrzehnte gehandelt wird, kann ein „AI-Label“ als strategisches Kommunikationsinstrument dienen – unabhängig davon, ob die zugrundeliegende Technologie über ein frühes Pilotprojekt hinausgeht.

Das Problem entsteht dort, wo die Diskrepanz zwischen Ankündigung und Realität so groß wird, dass Investoren strukturell getäuscht werden – sei es durch bewusst aufgebauschte Pressemitteilungen, irreführende Begrifflichkeiten oder fehlende Klarheit über den Reifegrad der eingesetzten Systeme.


Investoren reagieren mit neuen Prüfkriterien

Die Euphorie rund um Künstliche Intelligenz ist berechtigt – ebenso wie die Sorge vor übertriebenen Versprechen. Die Studie unter Großanlegern zeigt, dass der Kapitalmarkt wachsam wird: Investoren wollen keine KI-Schlagworte, sie wollen Substanz."

Die zunehmende Unsicherheit über den tatsächlichen KI-Reifegrad vieler Unternehmen führt dazu, dass institutionelle Investoren beginnen, eigene Prüfraster für KI-bezogene Angaben zu entwickeln. Gefragt sind nicht nur allgemeine Zukunftsversprechen, sondern belastbare Informationen zu:

  • konkreten KI-Anwendungen im operativen Geschäft
  • Integration in Wertschöpfungsketten und Entscheidungsprozesse
  • messbaren Effizienzgewinnen oder Umsatzimpulsen
  • Beteiligungen an Forschung, Patenten oder KI-Start-ups

Auch ESG-orientierte Investoren bringen zunehmend AI-Governance-Fragen in den Diskurs ein: Wie werden algorithmische Entscheidungen dokumentiert? Wer trägt Verantwortung für fehlerhafte Automatisierung? Wie wird Transparenz gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Regulatoren sichergestellt?

Der Begriff „Responsible AI“ gewinnt hier an Relevanz – nicht nur ethisch, sondern auch finanziell. Denn je höher die Kapitalbindung an vermeintliche KI-Initiativen ist, desto größer ist das Risiko von Fehlallokationen, sollte sich der angekündigte Nutzen als Illusion erweisen.


Das regulatorische Umfeld bleibt diffus

Trotz der wachsenden Bedeutung von KI in Geschäftsberichten und Investorenpräsentationen gibt es bislang kaum regulatorische Standards, die Unternehmen zur Klarheit oder Konsistenz in ihrer KI-Kommunikation verpflichten. Anders als im Bereich der ESG-Berichterstattung, wo Nachhaltigkeitsaussagen zunehmend prüf- und sanktionsfähig sind, bleibt der Begriff „Künstliche Intelligenz“ rechtlich weitgehend unbestimmt.

Auch die anstehende EU-Verordnung zum Einsatz von KI – der sogenannte AI Act – zielt eher auf die Produkt- und Anwendungsebene als auf die Kapitalmarktperspektive. Damit bleibt der Spielraum für Interpretationen groß – und die Verantwortung für Wahrheit und Klarheit liegt weiterhin bei den Unternehmen selbst.

Die Gefahr besteht, dass sich ein Marktsegment herausbildet, in dem Narrative die Realität überlagern – mit entsprechenden Risiken für Anleger, die auf Basis unvollständiger Informationen investieren.


Fazit: Zwischen Hoffnung und Vorsicht

Die Euphorie rund um Künstliche Intelligenz ist berechtigt – ebenso wie die Sorge vor übertriebenen Versprechen. Die Studie unter Großanlegern zeigt, dass der Kapitalmarkt wachsam wird: Investoren wollen keine KI-Schlagworte, sie wollen Substanz.

Für Unternehmen bedeutet das einen klaren Handlungsauftrag: Wer mit KI wirbt, muss zeigen, wie, wo und mit welchem Ziel. Transparenz, Plausibilität und ein realistisches Erwartungsmanagement sind entscheidend – nicht nur aus Compliance-Gründen, sondern auch für den nachhaltigen Aufbau von Vertrauen am Markt.

Denn in einem Umfeld, das zunehmend von Technologie geprägt wird, gilt mehr denn je: Wert entsteht nicht durch das Schlagwort – sondern durch die Umsetzung.

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