Wie Schenkungen das Pflichtteilsrecht beeinflussen Pflichtteil und Schenkungsausgleich
In der erbrechtlichen Praxis treffen zwei Prinzipien oft aufeinander: der Wunsch nach freier Verfügung über das eigene Vermögen und das gesetzlich geschützte Recht naher Angehöriger auf einen Mindestanteil – den sogenannten Pflichtteil. Während das Erbrecht dem Erblasser grundsätzlich weitgehende Testierfreiheit einräumt, sichert das Pflichtteilsrecht bestimmten Personen einen unverzichtbaren Anteil am Nachlass, selbst wenn sie durch ein Testament ausgeschlossen wurden.
In Kombination mit Schenkungen zu Lebzeiten entsteht daraus ein Spannungsfeld, das nicht selten zu emotionalen und rechtlichen Auseinandersetzungen führt. Denn das Gesetz kennt Mechanismen, mit denen bestimmte Schenkungen im Todesfall „zurückgerechnet“ und teilweise in den Pflichtteilsanspruch einbezogen werden – auch dann, wenn sie viele Jahre vor dem Erbfall erfolgten.
Wer also über größere Vermögensübertragungen nachdenkt oder bereits getätigte Schenkungen im Familienkreis rechtlich absichern will, sollte die Grundlagen von Pflichtteilsrecht und Schenkungsausgleich kennen – und verstehen, welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen.
Das Pflichtteilsrecht: Eine gesetzliche Grenze der Freiheit
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Das Pflichtteilsrecht ist in den §§ 2303 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt.
Es sichert bestimmten Personen einen Mindestanteil am Nachlass – und zwar in Geld, nicht in Form von Erbschaftsgegenständen. Pflichtteilsberechtigt sind:
- Kinder (auch adoptierte) des Erblassers
- Ehegatten und eingetragene Lebenspartner
- Eltern des Erblassers (nur, wenn keine Nachkommen vorhanden sind)
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Wurde etwa ein Kind testamentarisch enterbt, hat es dennoch Anspruch auf 50 % dessen, was ihm nach gesetzlicher Erbfolge zugestanden hätte.
Dieser Anspruch richtet sich gegen die Erben – und muss in der Regel aktiv eingefordert werden.
Problematisch wird es, wenn der Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalls deutlich kleiner erscheint, weil wesentliche Vermögenswerte bereits zu Lebzeiten verschenkt wurden.
Genau an diesem Punkt greift das Konzept der Pflichtteilsergänzung.
Pflichtteilsergänzung: Wenn Schenkungen rückwirkend relevant werden
Die gesetzliche Regelung zur Pflichtteilsergänzung (§ 2325 BGB) soll verhindern, dass Erblasser durch vorzeitige Schenkungen gezielt den Pflichtteil schmälern. Deshalb werden Schenkungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Tod erfolgt sind, dem Nachlass fiktiv hinzugerechnet – und zwar nach einem bestimmten Schema:
- Innerhalb des ersten Jahres vor dem Tod: 100 % des Schenkungswerts
- Im zweiten Jahr: 90 %
- Im dritten Jahr: 80 %
- …
- Im zehnten Jahr: 10 %
Dieser „Abschmelzungsmechanismus“ stellt sicher, dass ältere Schenkungen nur noch teilweise berücksichtigt werden. Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Tod erfolgten, bleiben außen vor – sofern der Schenker die wirtschaftliche Kontrolle vollständig aufgegeben hat.
Wichtig: Hat sich der Schenker ein Nießbrauchsrecht oder Wohnrecht vorbehalten, beginnt die Zehnjahresfrist nicht zu laufen. In diesem Fall gilt die Schenkung rechtlich nicht als vollzogen – und bleibt selbst Jahrzehnte später noch vollständig pflichtteilsergänzungsrelevant. Dies ist ein häufiger Irrtum in der Nachfolgegestaltung.
Schenkungsausgleich unter Geschwistern: Das Prinzip der Gleichbehandlung
Schenkungen zu Lebzeiten sind ein wertvolles Mittel, um Vermögen planvoll und steuerlich günstig zu übertragen. Doch sie sollten niemals losgelöst von erbrechtlichen Wirkungen gedacht werden. Pflichtteil und Schenkungsausgleich sind zwei juristische Instrumente, die sicherstellen sollen, dass der Wille zur Gleichbehandlung und familiären Gerechtigkeit nicht durch unbedachte Handlungen unterlaufen wird."
Ein weiterer Aspekt betrifft den Schenkungsausgleich unter Abkömmlingen im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge (§ 2050 BGB ff.). Haben mehrere Kinder zu Lebzeiten unterschiedliche Zuwendungen erhalten – etwa Immobilien, Unternehmensanteile oder hohe Geldbeträge – stellt sich die Frage: Soll das bei der späteren Erbverteilung berücksichtigt werden?
Das Gesetz geht grundsätzlich von einem Ausgleichswillen aus: Schenkungen unter Abkömmlingen werden dann als „ausgleichspflichtige Zuwendungen“ betrachtet, wenn der Erblasser dies ausdrücklich angeordnet hat – oder wenn sie zum Zweck der Ausstattung, Existenzgründung oder Ausbildung erfolgten.
In diesem Fall wird der Wert der Schenkung dem Erbteil des Beschenkten zugerechnet, sodass die anderen Geschwister einen entsprechend höheren Anteil am verbleibenden Nachlass erhalten. Beispiel: Erhält Kind A eine Eigentumswohnung, soll dies später beim Erbe mitberücksichtigt werden – Kind B erhält dann ggf. einen größeren Anteil am übrigen Vermögen.
Wichtig ist hierbei: Der Ausgleich findet nur unter gesetzlichen Erben statt. Bei testamentarischer Enterbung entfällt der Schenkungsausgleich – es sei denn, eine Pflichtteilsergänzung greift. Auch dies zeigt: Testament, Pflichtteil und Ausgleichsansprüche greifen oft ineinander, sollten also stets gemeinsam betrachtet werden.
Gestaltungsmöglichkeiten zur Konfliktvermeidung
Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, ist es sinnvoll, Schenkungen zu Lebzeiten klar zu dokumentieren und mit ausdrücklichen Erklärungen zu versehen. Dabei können folgende Maßnahmen helfen:
- Schenkung mit Ausgleichsvermerk: Der Erblasser erklärt, dass die Zuwendung beim späteren Erbteil berücksichtigt werden soll.
- Schenkung ohne Ausgleich: Im Gegenzug kann festgelegt werden, dass die Schenkung „außerhalb des Erbgangs“ erfolgt.
- Testamentarische Klarstellung: Ergänzung durch eine testamentarische Regelung, die ausdrücklich Ausgleichsmechanismen benennt.
- Verzichtserklärung auf den Pflichtteil: Möglich in notarieller Form – insbesondere bei größeren vorzeitigen Vermögensübertragungen.
- Bewertung durch Gutachten: Insbesondere bei Immobilien oder Unternehmen kann ein Wertgutachten spätere Streitpunkte entschärfen.
Ziel sollte immer sein, Klarheit, Transparenz und Fairness herzustellen – nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus emotionaler Perspektive. Denn das Pflichtteilsrecht schützt nicht nur ökonomische Interessen, sondern oft auch verletztes familiäres Gerechtigkeitsempfinden.
Fazit: Pflichtteil und Schenkungsausgleich als zentrale Elemente fairer Nachfolge
Schenkungen zu Lebzeiten sind ein wertvolles Mittel, um Vermögen planvoll und steuerlich günstig zu übertragen. Doch sie sollten niemals losgelöst von erbrechtlichen Wirkungen gedacht werden. Pflichtteil und Schenkungsausgleich sind zwei juristische Instrumente, die sicherstellen sollen, dass der Wille zur Gleichbehandlung und familiären Gerechtigkeit nicht durch unbedachte Handlungen unterlaufen wird.
Wer frühzeitig, transparent und fachlich begleitet plant, kann diese Regeln im Sinne aller Beteiligten gestalten – und Konflikten vorbeugen, die sonst oft erst dann sichtbar werden, wenn es keine Gesprächspartner mehr gibt.
Erben und schenken sind nicht nur rechtliche Akte – sie sind Ausdruck von Beziehung, Vertrauen und Verantwortung. Pflichtteil und Schenkungsausgleich helfen dabei, diesem Anspruch gerecht zu werden.

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