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Finanzlexikon KGV im Wandel

Was die beliebteste Kennzahl wirklich zeigt.

Kaum eine Kennzahl prägt den Blick auf Aktien so sehr wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV. Es teilt den aktuellen Aktienkurs durch den Gewinn je Aktie und gilt damit als Maßstab, wie teuer oder günstig ein Unternehmen bewertet ist. Auf den ersten Blick scheint die Formel klar: Ein niedriges KGV bedeutet „billig“, ein hohes KGV „teuer“. Doch in der Praxis ist die Aussage komplexer.

Das KGV verdichtet Erwartungen, Marktstimmung und Wirtschaftslage in einer Zahl. Es zeigt nicht nur, was ein Unternehmen heute verdient, sondern vor allem, wie stark Anleger auf künftige Gewinne vertrauen. Damit wird es weniger zu einer Bewertung der Gegenwart als zu einem Indikator für Zukunftsglauben.


Was das KGV misst – und was nicht

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis beschreibt, wie viele Jahre ein Unternehmen den aktuellen Gewinn erzielen müsste, um seinen Börsenwert zu rechtfertigen.

Es spiegelt also eine Art Rückzahlungsdauer des Kaufpreises wider – unter der Annahme gleichbleibender Gewinne.

Die Aussage des KGV beruht auf drei Annahmen:

  • Gewinne sind stabil und repräsentativ für die Zukunft.
  • Der Markt bewertet Ertrag und Risiko rational.
  • Die Unternehmensgewinne sind nicht stark konjunkturabhängig.

In der Realität treffen diese Voraussetzungen selten vollständig zu.

Gewinne schwanken, Märkte über- oder untertreiben, und Branchen unterscheiden sich in ihren Bewertungsmaßstäben.


Unterschiede zwischen Branchen und Zyklen

Ein KGV hat nur im Vergleich Bedeutung. Technologiewerte handeln traditionell mit höheren Multiplikatoren, weil sie stärker auf Wachstum setzen. Energie- oder Finanzunternehmen werden meist niedriger bewertet, weil ihre Erträge konjunkturabhängiger sind.

Auch das Marktumfeld spielt eine Rolle. In Zeiten niedriger Zinsen steigen die KGVs vieler Unternehmen, weil künftige Gewinne höher abgezinst werden. Steigen die Zinsen, kehrt sich dieser Effekt um. So spiegelt das KGV immer auch makroökonomische Erwartungen wider – es ist nicht nur eine Unternehmenskennzahl, sondern ein Marktbarometer.

KGV in unterschiedlichen Phasen:

  • Hochzinsphasen: sinkende Bewertungen, weil Kapital Alternativen bietet.
  • Niedrigzinsphasen: steigende Bewertungen, weil Zukunftserträge mehr zählen.
  • Krisenzeiten: extreme Ausschläge durch Gewinnrückgänge oder Panikverkäufe.

Das Verhältnis zwischen Preis und Gewinn ist damit kein festes Maß, sondern ein Spiegel kollektiver Einschätzungen.


Grenzen der Aussagekraft

Das KGV bleibt eine der meistgenutzten Kennzahlen, weil es Einfachheit mit Orientierung verbindet. Doch sein Wert liegt nicht in der Zahl selbst, sondern in der Interpretation."

Das KGV kann irreführen, wenn Gewinne temporär verzerrt sind – etwa durch Sondereffekte, Abschreibungen oder konjunkturelle Schwächen. Ein sehr niedriges KGV kann auf Unterbewertung hindeuten, aber auch auf mangelndes Vertrauen in die Zukunft. Ein sehr hohes KGV wiederum kann Optimismus ausdrücken – oder Übertreibung.

Zudem ignoriert die Kennzahl die Kapitalstruktur. Unternehmen mit hoher Verschuldung wirken auf den ersten Blick günstig, tragen aber mehr Risiko. Ebenso werden zukünftige Investitionen, Innovationen oder immaterielle Werte wie Marken kaum erfasst.

Das KGV ist damit ein nützliches, aber unvollständiges Werkzeug – ein Einstiegspunkt, keine endgültige Bewertung.


Der Wandel des Maßstabs

In der heutigen Marktlogik verliert das klassische KGV teilweise an Bedeutung. Analysten nutzen ergänzende Kennzahlen wie das Kurs-Cashflow-Verhältnis oder das Kurs-Buchwert-Verhältnis, um Stabilität und Liquidität besser einzuschätzen. Besonders in technologiegetriebenen Branchen, in denen Gewinne oft erst in ferner Zukunft entstehen, greift das KGV zu kurz.

Auch Nachhaltigkeits- und Zukunftsfaktoren verschieben die Perspektive: Unternehmen mit stabiler Governance und klarer ESG-Ausrichtung können trotz höherer KGVs als „fair bewertet“ gelten, weil Vertrauen in ihre Beständigkeit Teil des Werts geworden ist.


Fazit

Das KGV bleibt eine der meistgenutzten Kennzahlen, weil es Einfachheit mit Orientierung verbindet. Doch sein Wert liegt nicht in der Zahl selbst, sondern in der Interpretation. Ein niedriges KGV kann Risiko bedeuten, ein hohes Vertrauen – und beides kann richtig sein. Die Kennzahl zeigt, wie Märkte Zukunft in Zahlen übersetzen, aber nicht, ob sie recht haben.

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