Um die Tragweite einer möglichen Dividendenzahlung zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Grundüberzeugungen Warren Buffetts

Star-Investor rechnet mit Berkshire-Tabubruch Aus für den Buffett-Kodex?

Ein bislang als sakrosankt geltendes Prinzip bei Berkshire Hathaway steht womöglich vor dem Fall. Die Rede ist von der kategorischen Ablehnung von Dividendenzahlungen – ein Grundpfeiler jener Anlagestrategie, die Warren Buffett über Jahrzehnte hinweg zu einem der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten gemacht hat.

Doch mit dem absehbaren Rückzug des „Orakels von Omaha“ aus der operativen Führung des Unternehmens beginnt das Fundament zu wackeln. Laut Star-Investor Bill Ackman ist es nur eine Frage der Zeit, bis Berkshire Hathaway seinen Aktionären erstmals in der Konzerngeschichte regelmäßige Dividenden ausschüttet – ein Bruch mit der Vergangenheit, der Symbolkraft hätte.

Die Diskussion um eine mögliche „Dividendenwende“ bei Berkshire Hathaway ist nicht neu, gewinnt aber vor dem Hintergrund des Generationenwechsels an Relevanz. Ackman, selbst ein prominenter Vertreter der aktivistischen Investoren, begründet seine Prognose mit einem nüchternen Blick auf die Kapitalstruktur des Unternehmens. Berkshire sitze auf einem „Berg an Barmitteln“, der weit über das operative Notwendige hinausgehe – Geld, das zunehmend schwieriger sinnvoll zu investieren sei.

Buffett und die Philosophie der Reinvestition

Um die Tragweite einer möglichen Dividendenzahlung zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Grundüberzeugungen Warren Buffetts. Seit Jahrzehnten propagiert er eine kompromisslose Philosophie der Reinvestition: Solange das Management eines Unternehmens das Kapital besser einsetzen kann, als es ein einzelner Aktionär tun würde, ist jede Ausschüttung ein suboptimales Ergebnis. Buffett selbst brachte es einst auf den Punkt: „Warum sollte ich dir einen Dollar geben, wenn ich daraus intern 1,20 machen kann?“

Berkshire Hathaway hat dieses Prinzip in seiner reinsten Form gelebt. Das Unternehmen schüttete in seiner jahrzehntelangen Geschichte exakt eine einzige Dividende aus – im Jahr 1967. Danach nie wieder. Stattdessen investierte Buffett die freien Mittel in ein immer größer werdendes Konglomerat aus Versicherungen, Eisenbahnen, Industrie- und Konsumgütern sowie Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen wie Apple, Coca-Cola oder American Express.

Diese Strategie wurde zum Markenzeichen. Sie verhalf Berkshire zu einer einzigartigen Stellung im globalen Kapitalmarkt – als Firma, die nicht nur Anlagevehikel, sondern auch philosophisches Manifest war.

Der Wandel der Umstände

Doch in der Gegenwart stoßen selbst die brillantesten Strategien auf strukturelle Grenzen. Berkshire Hathaway ist heute ein Gigant mit einer Marktkapitalisierung von über 850 Milliarden US-Dollar. Die Barmittel des Unternehmens – zuletzt über 180 Milliarden Dollar – lassen sich selbst von einem Investor vom Kaliber Buffetts nicht mehr ohne Reibungsverluste allokieren. Die Zahl sinnvoller, großvolumiger Investmentmöglichkeiten ist begrenzt, vor allem wenn man – wie Buffett – auf Qualität, Langfristigkeit und Preisdisziplin besteht.

Hinzu kommt ein wachsender Erwartungsdruck seitens institutioneller Investoren, die angesichts magerer Renditen im Zinsmarkt zunehmend auf berechenbare Ausschüttungen setzen. Auch wenn Berkshire traditionell keine Zielgruppe für klassische Dividendenjäger war, ändert sich die Zusammensetzung der Aktionärsbasis langsam, aber spürbar.

Bill Ackman bringt diese Entwicklungen auf den Punkt: „Es ist keine Frage der Überzeugung mehr, sondern eine der Verantwortung. Wenn du Kapital nicht produktiv einsetzen kannst, gehört es den Aktionären.“

Wer übernimmt – und mit welchem Kurs?

Ob und wann Berkshire Hathaway den Schritt zur Dividendenzahlung geht, ist noch offen. Doch die Zeichen verdichten sich: Der Rückzug Warren Buffetts, die Aussagen von Bill Ackman, die massive Liquidität im Unternehmen – all das deutet auf eine Neubewertung hin. Die große Frage ist nicht mehr, ob es zur Dividendenwende kommt, sondern wie sie gestaltet wird."

Die Personalie des künftigen CEO spielt in dieser Debatte eine Schlüsselrolle. Buffett hat bereits angekündigt, dass Greg Abel, derzeit für das nichtversicherungsbezogene operative Geschäft verantwortlich, seine Nachfolge antreten soll. Abel gilt als diszipliniert, analytisch – und zugleich als jemand, der pragmatisch denkt und nicht ideologisch verhaftet ist.

Viele Beobachter vermuten daher, dass unter Abel eine neue Phase beginnt: kein Bruch mit der Vergangenheit, aber eine Anpassung an die Realität. Dividenden könnten dabei Teil einer neuen Kapitalstrategie sein, die zwischen Reinvestition, Aktienrückkäufen und Ausschüttungen balanciert. Die Tatsache, dass Berkshire in den letzten Jahren zunehmend eigene Aktien zurückkaufte, gilt bereits als Indiz für diese Flexibilisierung.

Ein Dividendenbeschluss wäre somit kein abruptes Ende des „Buffett-Kodex“, sondern dessen evolutionäre Weiterentwicklung.

Zwischen Emotion und Ökonomie

Für viele Anleger wäre eine Dividende mehr als nur eine monetäre Rückzahlung. Sie wäre ein symbolischer Wendepunkt. Das Unternehmen, das jahrzehntelang als Gegenentwurf zur Wall-Street-Logik galt, würde damit ein Stück weit zur „normalen“ Aktiengesellschaft werden. Die Aura des Einzigartigen würde zumindest Risse bekommen.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob diese Aura nicht ohnehin mehr Mythos als wirtschaftlicher Mehrwert geworden ist. Berkshire ist längst kein flexibles Investmentvehikel mehr, sondern ein de facto multinationaler Konzern mit Tausenden Mitarbeitern, komplexer Struktur und begrenzter Innovationskraft. Eine Dividende könnte als Ausdruck von Realismus interpretiert werden – nicht als Kapitulation.

Fazit: Zeitenwende in Omaha?

Ob und wann Berkshire Hathaway den Schritt zur Dividendenzahlung geht, ist noch offen. Doch die Zeichen verdichten sich: Der Rückzug Warren Buffetts, die Aussagen von Bill Ackman, die massive Liquidität im Unternehmen – all das deutet auf eine Neubewertung hin. Die große Frage ist nicht mehr, ob es zur Dividendenwende kommt, sondern wie sie gestaltet wird.

Der „Buffett-Kodex“ mag nicht förmlich zu Grabe getragen werden. Doch er wird, wie so viele große Prinzipien in der Wirtschaftsgeschichte, der Realität weichen müssen. Vielleicht liegt seine wahre Größe genau darin: in der Bereitschaft zur Veränderung, wenn der Moment gekommen ist.

Kontakt zu mir

Hallo!
Schön, dass Sie mich kennenlernen möchten.