Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Die Mittelschicht schrumpft
Der DIW-Präsident schafft Klarheit: Die sogenannte Mittelschicht ist in Deutschland bedroht. Anhand belastbaren Zahlenmaterials widerlegt Marcel Fratzscher die anderslautende Meinung zahlreicher Kritiker.
Statistiken sind mehrdeutig, lassen sie sich doch unterschiedlich interpretieren. Angesichts sinkender Arbeitslosen- und stabiler Wachstumsquoten mutet die Aussage von Marcel Fratzscher, dass die Mittelschicht tatsächlich schrumpfen würde, als unsinnig an. Allerdings spiegelt sich hier in erster Linie die immer weiter auseinanderklaffende Verteilung der Einkommen wider.
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Beschäftigungszahlen schlagen sich unterschiedlich im Einkommen nieder
So bestätigt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Aussage, dass sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland seit dem Jahr 2005 verbessert habe. Allerdings profitieren die Haushalte, deren Einkommen sich nach Steuern und eventuellen Transferleistungen um den Median bewegt, nicht ausreichend davon. Diese Bevölkerungsgruppe schrumpft: Wird die Spanne von 77 bis 130 Prozent dieses mittleren Einkommens der Gesellschaft angesetzt, reduzierte sich die Mittelschicht vom Stand 1995-1999 bis zum Stand 2014-2015 von 48 auf 41 Prozent. Diese Entwicklung lässt sich auch bei einer breiter gefassten Definition des Median belegen.
Daraus folgt eine Polarisierung in der Einkommenssituation: Die Anzahl der Haushalte, die ein Einkommen von unter 60 Prozent des Median beziehen, stieg nämlich von elf auf mehr als 15 Prozent. Dieses Armutsrisiko zieht sich nach einer Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), auf die sich Fratzscher beruft, durch alle gesellschaftlichen Gruppen. Die bislang gern strapazierte Erklärung, dass es immer mehr ältere Menschen gäbe, bestätigt sich damit nicht. Insbesondere die ältere Bevölkerungsgruppe, aber auch Frauen sind heute verstärkt erwerbstätig.
Eine Frage der Verteilung: Atypische Beschäftigung auf dem Vormarsch
Die Einkommen sind zwar generell gestiegen und es schafften auch einige der Mittelschichtler den Aufstieg in höhere Sphären, allerdings wuchs der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse deutlich stärker: Leiharbeit, Minijobs und befristete Verträge werden daher eindeutig als Ursachen für das Schrumpfen der wichtigen Mittelschicht identifiziert, auch wenn die Anzahl der regulären Arbeitsverhältnisse ebenfalls zugenommen hat.
Unter dem Strich klafft die Einkommensschere also immer weiter auseinander."
So ließe sich feststellen, dass sich die unteren Einkommensgruppen sukzessive ausdehnen, weil eben verstärkt atypische Beschäftigungen angeboten würden und der Anteil der regulären in diesem Segment in etwa gleich blieb. Auf der anderen Seite schlägt sich die stark gestiegene Anzahl der regulären Arbeitsverhältnisse vor allem in den hohen Einkommensgruppen nieder.
Unter dem Strich klafft die Einkommensschere also immer weiter auseinander, auch wenn im Vergleich zu 2005 mehr Stellen mit regulären Arbeitsverhältnissen geschaffen wurden. Was einst im Zuge der Arbeitsmarktreform als Erleichterung für den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben gedacht war, hat sich demnach längst zur Bedrohung für die Mittelschicht entwickelt.
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