Gemeinsame Schulden für die Verteidigung sind kein Selbstzweck, sondern ein Organisationsprinzip für Kapazitäten, die Europa dringend benötigt

Deutsche Bundesbank Gemeinsame Schulden für Europas Sicherheit

Ein Tabubruch mit Signalwirkung.

Die Deutsche Bundesbank galt über Jahrzehnte als Mahnerin gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Umso größer ist die Signalwirkung, wenn ihr Präsident Joachim Nagel nun die Tür für gemeinsame europäische Schulden speziell zur Verteidigungsfinanzierung öffnet. Das ist kein geldpolitischer Kurswechsel – die Preisstabilität bleibt unberührt –, sondern eine strategische Neubewertung der fiskalischen Architektur in einer veränderten Sicherheitslage. Europas Herausforderung ist nicht zyklisch, sondern strukturell: Es geht um Fähigkeiten, die nur gemeinsam effizient und schnell skaliert werden können.

Was ist wirklich neu?

Neu ist nicht die Technik der gemeinschaftlichen Kreditaufnahme – die wurde in der Pandemie erprobt –, neu ist die Zweckbindung: Verteidigung als europäisches öffentliches Gut. Die Debatte verschiebt sich damit weg von einer akuten Krisenbekämpfung hin zur institutionalisierten Resilienz. Der Gedanke: Wenn Europa in kritischen Bereichen wie Munition, Luftverteidigung, Cyber und Satellitenlagebildern handlungsfähig sein will, braucht es gemeinsame Planung, gemeinsame Beschaffung und – konsequenterweise – gemeinsame Finanzierung.

Die ökonomische Logik: Skalenerträge, Zeitgewinn, Interoperabilität

Verteidigungsfähigkeit ist kapitalintensiv und durch hohe Fixkosten geprägt. Produktionslinien für Pulver, Raketen, Lenkflugkörper oder Sensorik lassen sich nicht über Nacht hochziehen. Drei Argumente stechen hervor:

  • Skalenerträge: Größere, planbare Losgrößen senken Stückkosten und beschleunigen den Kapazitätsaufbau.
  • Zeit als knappstes Gut: Eine zentrale Emission und Bündelung verkürzt den Weg von der Entscheidung zur Lieferung.
  • Interoperabilität: Gemeinsame Standards sparen doppelte Entwicklung, erhöhen Einsatzbereitschaft und verringern Folgekosten im Betrieb.

Drei gangbare Modelle der Ausgestaltung

  1. Temporärer EU-Verteidigungsfonds (NGEU-ähnlich)Ein befristeter Fonds nimmt Mittel am Kapitalmarkt auf und finanziert zweckgebundene EU-Programme (z. B. Munition, Air & Missile Defense, Cyber). Vorteil: erprobte Governance; Nachteil: politische Hürde durch notwendige Beschlüsse und Ratifikationen.
  2. Dauerhafte, begrenzte On-Budget-Verschuldung der EU: Eingebettet in den EU-Haushalt, gedeckt durch Eigenmittel (z. B. Emissionserlöse, Abgaben). Vorteil: Planbarkeit; Risiko: schleichende Permanenz ohne klare Sunset-Klauseln.
  3. Back-to-Back-Kredite (Kreditlinie an Mitgliedstaaten): Die EU nimmt auf, gibt als Darlehen weiter. Politisch leichter, aber weniger echte Vergemeinschaftung; Effizienzgewinne geringer als bei echten EU-Programmen.

Rechtsrahmen und Governance: Wieviel Vergemeinschaftung ist tragfähig?

Der Kernkonflikt bleibt die Haftungsarchitektur. Für echte Vergemeinschaftung braucht es verlässliche Schuldendienstquellen auf EU-Ebene. Transparenz und demokratische Kontrolle sind kein Beiwerk, sondern Voraussetzung für Legitimität:

  • Zweckbindung & Indikatoren: Programme sollten messbare Outputs definieren (Losgrößen, Lieferzeiten, Einsatzbereitschaft).
  • Audit & Sanktionsmechanismen: Klare Meilensteine, unabhängige Prüfung, Rückforderungsrechte bei Verfehlungen.
  • Sunset-Klauseln: Zeitliche Befristung (z. B. zehn Jahre) plus Evaluationspunkte, um Pfadabhängigkeiten zu begrenzen.

Kapitalmarkt-Perspektive: Ein europäischer Safe-Asset-Block

Gemeinsame Schulden für die Verteidigung sind kein Selbstzweck, sondern ein Organisationsprinzip für Kapazitäten, die Europa dringend benötigt. Der Vorstoß der Bundesbank markiert einen realistischen Kompromiss: temporär, zweckgebunden, eigenmittelgedeckt, streng überwacht. So konzipiert, können Eurobonds im Verteidigungsbereich das leisten, was nationale Alleingänge kaum schaffen: Tempo, Skalierung und Interoperabilität – ohne die fiskalische Disziplin preiszugeben."

Seit 2020 hat sich mit EU-Anleihen ein eigenständiger Referenzpunkt etabliert. Ein planbares, liquides Emissionsprogramm für Verteidigung hätte drei Effekte:

  • Liquidität & Tiefe: Größere, regelmäßige Linien verbessern die Handelbarkeit und könnten die Termprämie senken.
  • Diversifikation: Institutionelle Investoren erhalten eine Alternative zwischen Bunds und Peripherietiteln; das reduziert Fragmentierung.
  • Preisdisziplin: Ein klarer Schuldendienst-Anker über EU-Eigenmittel verhindert, dass die Emissionsvorteile in diffusen Haftungszusagen verpuffen.

Deutschlands Perspektive: Von der Schuldenbremse zur Lastenteilung

Die Schuldenbremse begrenzt nationalen Spielraum. Gemeinsame, zweckgebundene Finanzierung kann helfen, Fähigkeiten zu beschaffen, die Deutschland ohnehin braucht, ohne nationale Budgets kurzfristig zu überdehnen – solange der europäische Mehrwert nachweisbar ist. Für die Bundesbank ist entscheidend, dass Anreizkompatibilität gewahrt bleibt: Reformdruck darf nicht verschwinden, solide nationale Fiskalpolitik bleibt nötig.

Risiken und Gegenargumente – und wie man sie entschärft

  • Moral Hazard: Gefahr, dass einmal etablierte EU-Schulden zur „Allzweckwaffe“ werden. Gegenmittel: harte Zweckbindung, Sunset, enge Programmdefinition.
  • Verfassungs- und Ratifikationsrisiken: Einstimmigkeit ist politisch teuer. Gegenmittel: schlanke Rechtskonstruktion, frühzeitige Einbindung nationaler Parlamente.
  • Zinskostenregime: Höhere Zinsen belasten künftige Haushalte. Gegenmittel: Laufzeitenleiter, konservative Annahmen, Schuldendienst über stabile Eigenmittel statt ad-hoc-Beiträge.
  • Industriepolitische Reibung: Standortverteilung und „Buy European“-Kriterien können Konflikte schüren. Gegenmittel: transparente Allokationslogik, Wettbewerbsverfahren mit Konsortialpflichten und strikten Standardisierungszielen.

Operative To-do-Liste für die Politik

  • Klare Priorisierung: 3–5 Programmsparten definieren (Munition, Luftabwehr, Cyber, Weltraum, Logistik).
  • Finanzierungsanker: Mix geeigneter EU-Eigenmittel als Schuldendienstbasis festlegen.
  • Pipeline & Meilensteine: Quartalsweise Liefer- und Produktionsziele, veröffentlichte Dashboards, unabhängiges Monitoring.
  • Standardisierung: Gemeinsame Normen und Schnittstellen als Förderkriterium verankern – Interoperabilität vor nationaler Kleinstaaterei.
  • Sunset & Review: Befristung plus Mid-Term-Review zur Anpassung oder Beendigung.

Politökonomische Realitäten: Möglich ist, was präzise ist

Die Erfahrung aus der Pandemie zeigt: Je präziser Zweck, Regeln und Exit, desto breiter die Koalition. Der Vorstoß der Bundesbank hebt die Debatte auf eine sachliche Ebene: Es geht nicht um ein „Für oder Wider Europa“, sondern um das richtige Instrument für eine gemeinsame Aufgabe. Wer Verteidigung europäisch organisiert, sollte auch europäisch finanzieren – aber mit derselben Strenge, die die Bundesbank seit jeher bei fiskalischen Fragen anlegt.


Fazit

Gemeinsame Schulden für die Verteidigung sind kein Selbstzweck, sondern ein Organisationsprinzip für Kapazitäten, die Europa dringend benötigt. Der Vorstoß der Bundesbank markiert einen realistischen Kompromiss: temporär, zweckgebunden, eigenmittelgedeckt, streng überwacht. So konzipiert, können Eurobonds im Verteidigungsbereich das leisten, was nationale Alleingänge kaum schaffen: Tempo, Skalierung und Interoperabilität – ohne die fiskalische Disziplin preiszugeben. Der Ball liegt nun bei der Politik: Wer die neue sicherheitspolitische Realität ernst nimmt, sollte die finanzielle Architektur dafür ebenso ernsthaft bauen.

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