Der rationale Entscheider Homo oeconomicus
Ein theoretisches Idealbild auf dem Prüfstand.
Der Begriff Homo oeconomicus geht auf die Anfänge der klassischen Nationalökonomie zurück. Schon bei Adam Smith und später bei David Ricardo oder John Stuart Mill wurde der Mensch als rational handelndes Individuum verstanden, das seine Entscheidungen stets auf Basis von Nutzenmaximierung trifft. Dieses Modell bildete jahrzehntelang das Fundament vieler ökonomischer Theorien – bis heute ist es in vielen makro- und mikroökonomischen Lehrbüchern präsent.
Im Kern geht der Homo oeconomicus davon aus, dass Menschen vollständig informiert, logisch denkend und konsistent entscheidend handeln. Sie wägen Optionen gegeneinander ab, bewerten Risiken korrekt und handeln immer so, dass der eigene Vorteil optimiert wird.
Die Stärken des Modells
Das Konzept ist aus Sicht der Modellbildung außerordentlich nützlich: Es erlaubt klare Ableitungen, Prognosen und mathematische Modellierungen von Märkten und Entscheidungen. In der Aggregation vieler Individuen liefert es theoretisch fundierte Aussagen über Angebot, Nachfrage, Gleichgewichte oder Preisbildung. Auch moderne Marktmodelle, wie sie etwa in der Finanzmathematik oder in der Portfolio-Theorie verwendet werden, fußen auf Annahmen, die dem Homo-oeconomicus-Verständnis folgen.
Realität und Begrenzung: Der Mensch als emotionaler Entscheider
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In der Praxis jedoch zeigt sich, dass Menschen selten so handeln, wie es das Modell unterstellt.
Die Psychologie hat längst belegt, dass kognitive Verzerrungen wie Überoptimismus, Status-quo-Verzerrung oder Verlustaversion das Verhalten von Menschen maßgeblich prägen.
Die Behavioral Finance hat diesen Bruch zwischen Theorie und Wirklichkeit systematisch untersucht.
Sie zeigt: Anleger handeln häufig prozyklisch statt antizyklisch, unterliegen Herdentrieb oder klammern sich an schlechten Investments aus Angst, Verluste zu realisieren.
Warum das Modell dennoch nützlich bleibt
Trotz seiner realitätsfernen Annahmen ist der Homo oeconomicus nicht obsolet. Er bleibt ein heuristisches Werkzeug, ein theoretisches Konstrukt, das hilft, komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen und allgemeine Wirkmechanismen zu verstehen. Gerade in der Systemtheorie und in Modellen mit vielen Teilnehmern kann sein Verhalten – in der Masse betrachtet – als Annäherung hilfreich sein.
Zudem wirkt das Ideal des rationalen Entscheiders als Kontrastfolie: Erst durch den Vergleich mit dem Homo oeconomicus wird sichtbar, wo und wie tatsächliches Verhalten abweicht – und welche Faktoren diese Abweichung erklären.
Konsequenzen für die Finanzberatung und Regulierung
Der Homo oeconomicus ist keine Beschreibung des realen Menschen, sondern ein Denkmodell. Er hilft, wirtschaftliches Verhalten zu strukturieren, doch wer ihn mit der Realität verwechselt, wird in der Praxis oft enttäuscht. Der Mensch ist kein Rechenautomat – sondern ein fühlendes, selektiv wahrnehmendes und lernendes Wesen."
Für die Praxis der Finanzberatung ergibt sich aus der Unvollkommenheit des Homo-oeconomicus-Modells ein klarer Auftrag: Beratung muss menschliches Verhalten ernst nehmen und Fehlentscheidungen antizipieren. Wer glaubt, Kunden handeln von sich aus rational und langfristig konsistent, übersieht die emotionale Seite von Geldentscheidungen.
Auch regulatorisch gewinnt die Erkenntnis an Bedeutung: Produktausgestaltung, Informationspflichten oder Anreizsysteme müssen auf ein realitätsnahes Menschenbild abstellen – nicht auf ein theoretisches Ideal, das selten greift.
Fazit: Idealtyp, aber kein Vorbild
Der Homo oeconomicus ist keine Beschreibung des realen Menschen, sondern ein Denkmodell. Er hilft, wirtschaftliches Verhalten zu strukturieren, doch wer ihn mit der Realität verwechselt, wird in der Praxis oft enttäuscht. Der Mensch ist kein Rechenautomat – sondern ein fühlendes, selektiv wahrnehmendes und lernendes Wesen. Finanzentscheidungen spielen sich nicht nur auf dem Papier ab, sondern auch im Kopf – und oft auch im Herzen.

"Finanzplanung ist Lebensplanung - Geben Sie beidem nachhaltig Sinn!"