Finanzlexikon Mythen und Realität: Rohstoffe
Rohstoffe als Inflationsschutz
Rohstoffe gelten seit jeher als fundamentaler Wertanker. Öl, Gas, Kupfer, Weizen oder Edelmetalle – sie sind die Grundlage der Weltwirtschaft. Viele Anleger verbinden mit Rohstoffen den Mythos vom perfekten Inflationsschutz: „Echte“ Werte, die nicht beliebig vermehrbar sind, sollen in Zeiten steigender Preise Sicherheit bieten. Doch der historische Rückblick zeigt ein ambivalentes Bild. Rohstoffe können in bestimmten Phasen Schutz und Rendite liefern, in anderen aber enorme Verluste erzeugen.
Der Mythos vom natürlichen Schutzschild
Der Mythos speist sich aus drei Grundannahmen:
- Knappheit: Rohstoffe sind begrenzt, also wertbeständig.
- Realwertcharakter: Weil sie für die Produktion unverzichtbar sind, steigen ihre Preise mit der Inflation.
- Unabhängigkeit von Finanzmärkten: Rohstoffe sollen sich anders entwickeln als Aktien oder Anleihen und so die Diversifikation stärken.
Diese Sichtweise führte vor allem in Inflationsphasen wie den 1970er-Jahren oder jüngst nach 2021 zu regelrechten Rohstoffbooms.
Realität im historischen Rückblick
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Die Realität ist komplizierter.
- 1970er-Jahre: Ölpreisschocks ließen die Preise explodieren, Gold vervielfachte sich, viele andere Rohstoffe legten stark zu. Hier erfüllte sich der Mythos vom Inflationsschutz.
- 1980–2000: Trotz Phasen moderater Inflation stagnierten oder fielen viele Rohstoffpreise. Öl kostete Mitte der 1980er nur noch rund 10 US-Dollar je Barrel – ein Bruchteil des Preises von 1980. Wer 20 Jahre durchhielt, machte kaum Gewinn.
- 2000–2010: Getrieben von Chinas Industrialisierung stiegen Rohstoffe massiv. Öl kletterte 2008 auf fast 150 Dollar je Barrel, Metalle und Agrarrohstoffe zogen ebenfalls stark an. Nach der Finanzkrise fielen die Preise jedoch abrupt.
- 2021–2022: Mit dem Energiepreisschock und der Inflation explodierten Öl, Gas und viele Metalle erneut. 2023/24 kühlte sich der Markt wieder ab.
Das Muster ist klar: Rohstoffe glänzen in Extremsituationen, enttäuschen aber oft in normalen Zeiten.
Strukturelle Probleme von Rohstoffinvestments
Goldbarren, Ölfässer oder Weizen sind konkrete Dinge – kein abstraktes Papier wie Aktien oder Anleihen. In unsicheren Zeiten suchen Menschen nach „harten Werten“. Der psychologische Trost ist oft stärker als die nüchterne Renditerechnung."
- Hohe Volatilität: Rohstoffpreise schwanken stärker als die meisten Aktienindizes. Bewegungen von ±30 % innerhalb weniger Monate sind keine Seltenheit.
- Keine laufenden Erträge: Rohstoffe zahlen weder Dividenden noch Zinsen. Rendite hängt allein von der Preisentwicklung ab.
- Kosten und Zugangsprobleme: Direkte Lagerung ist unmöglich oder teuer. Finanzinstrumente wie Futures oder Rohstoff-ETCs sind komplex und bringen Rollverluste mit sich.
- Politische Risiken: Förderländer wie Russland, Venezuela oder Saudi-Arabien nutzen Rohstoffe als Machtinstrument. Geopolitik beeinflusst Preise stärker als ökonomische Grunddaten.
Psychologische Dimension
Warum bleibt der Mythos so stark? Weil Rohstoffe „greifbar“ wirken. Goldbarren, Ölfässer oder Weizen sind konkrete Dinge – kein abstraktes Papier wie Aktien oder Anleihen. In unsicheren Zeiten suchen Menschen nach „harten Werten“. Der psychologische Trost ist oft stärker als die nüchterne Renditerechnung.
Fazit
Der Rückblick auf Rohstoffe als Inflationsschutz zeigt:
- Ja, sie schützen in Extremsituationen. In Inflationsschocks oder geopolitischen Krisen stiegen Rohstoffpreise oft stark.
- Nein, sie sind kein dauerhafter Renditebringer. Über lange Zeiträume liefern Rohstoffe real meist nur bescheidene oder gar keine Gewinne.
- Sie sind eine taktische Beimischung. Wer sie als kleinen Portfolioanteil hält, kann Diversifikation gewinnen. Wer sie als Hauptinvestment versteht, erliegt einem Mythos.
Freiräume schaffen für ein gutes Leben.