Rund eine Milliarde Schweizer Franken fließen in die Bundeskasse und an die Kantone

Der stille Reichtum einer vergessenen Währung Schweizer Geldsegen

Geld, so heißt es, schläft nicht. Es wechselt täglich seinen Besitzer, wandert durch Konten, über Grenzen, durch digitale Kanäle. Doch ein kleiner, aber wirksamer Teil des Bargeldes schläft – und zwar sehr tief. Mehr als 17 Millionen Schweizer Banknoten der alten Serien sind dauerhaft verschwunden, verschollen in Schubladen, Mauerverstecken, Reisekoffern oder schlicht entsorgt. Ihr Rücklauf bleibt aus – doch ihr Nennwert existiert weiterhin.

Was jahrzehntelang lediglich als buchhalterische Kuriosität galt, entwickelt sich nun zu einem handfesten Vorteil für die öffentliche Hand: Eine Milliarde Franken, die nie zurückgewechselt wurden, wird nun an Bund und Kantone ausgeschüttet. Ein ungewöhnlicher Zufluss – und ein Lehrstück über das, was passieren kann, wenn Vertrauen, Bargeld und Zeit aufeinander treffen.


Der Ursprung des Geldsegens: Alte Noten mit Ablaufdatum

Bis 2020 konnten Schweizer Banknoten auch aus älteren Serien ohne zeitliche Einschränkung bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gegen neue umgetauscht werden. Dieses Rückgaberecht galt grundsätzlich unbefristet – bis das Parlament beschloss, dieses Prinzip zu ändern. Mit einer Gesetzesreform wurde geregelt, dass Banknoten der sechsten Serie (ausgegeben ab 1976) und früher nur noch zehn Jahre nach ihrem offiziellen Außerkurssetzen zurückgegeben werden können.

Da diese Frist inzwischen abgelaufen ist und ein erheblicher Teil der ausgegebenen Scheine nie wieder aufgetaucht ist, kann der Gegenwert nun offiziell als „nicht mehr beanspruchbar“ deklariert werden – und damit dem Staatshaushalt zugeführt werden. Die SNB hatte den entsprechenden Rückstellungsposten seit Jahren bilanziert. Jetzt wird daraus Realität: Rund eine Milliarde Schweizer Franken fließen in die Bundeskasse und an die Kantone.


Wo ist das Geld geblieben? Die vielen Wege ins Nichts

Die Vorstellung, dass über 17 Millionen Banknoten einfach verschwinden, ist auf den ersten Blick kaum zu glauben – und doch ist es Realität. Die Gründe sind vielfältig:

  • Ein erheblicher Teil der alten Noten befindet sich vermutlich in Privathaushalten, etwa in Sparschubladen, in Erbschaften oder als Notfallreserven – vielfach vergessen, verloren oder nicht mehr auffindbar.
  • Andere Scheine sind bei Reisenden aus dem Ausland gelandet, die ihre Reste aus dem Schweiz-Urlaub nie umgetauscht haben.
  • Wieder andere Noten wurden absichtlich vernichtet, versteckt oder sind schlicht in der Müllverbrennung gelandet – etwa bei Haushaltsauflösungen oder unbewusster Entsorgung.
  • Einige Exemplare gelten sogar als Sammlerstücke und wurden bewusst dem Umlauf entzogen, weil ihr Sammlerwert höher ist als der Nennwert.

Tatsächlich ist das Phänomen verschollener Banknoten kein Schweizer Einzelfall – viele Zentralbanken weltweit kennen ähnliche Effekte. Doch in kaum einem Land ist der Bargeldanteil so hoch wie in der Schweiz, was den Effekt hier besonders sichtbar und finanziell bedeutsam macht.


Wer profitiert – und was passiert mit dem Geld?

Gemäß der gesetzlichen Regelung fließt der Betrag zu gleichen Teilen an den Schweizer Bund und an die Kantone. Beide Seiten begrüßen diesen ungeplanten Geldsegen ausdrücklich – gerade in Zeiten, in denen Haushaltsspielräume durch Teuerung, strukturelle Kostensteigerungen oder Sozialausgaben zunehmend unter Druck geraten.

Die Mittel sind nicht zweckgebunden, das heißt: Jeder Kanton kann selbst entscheiden, wie er seinen Anteil verwendet. Erste Diskussionen deuten auf eine breite Streuung der Verwendung hin – von Schuldentilgung über Bildungsprojekte bis hin zur Unterstützung der Gesundheitsversorgung. Der Bund wiederum dürfte seinen Anteil ebenfalls flexibel in bestehende Haushaltslinien integrieren.

Bemerkenswert ist: Die Ausschüttung erfolgt ohne zusätzliche Steuerbelastung, ohne politische Kämpfe und ohne Volksabstimmung – eine seltene Win-Win-Situation in einem ansonsten oft kontroversen finanzpolitischen Umfeld.


Symbolkraft und psychologische Wirkung

Millionen nicht eingelöster Geldscheine schaffen finanzielle Entlastung für die öffentliche Hand – ohne zusätzliche Steuererhebung, ohne politische Auseinandersetzung, ohne gesellschaftliche Verlierer. Die Schweiz profitiert damit von ihrer eigenen Bargeldgeschichte – und von der Tatsache, dass Menschen vergesslich, vorsichtig oder schlicht zu spät dran sind."

Abseits des finanziellen Wertes entfaltet dieser Vorgang auch eine gewisse symbolische Kraft. Er zeigt, wie sehr das Vertrauen in Bargeld, der Wunsch nach Kontrolle und die Langlebigkeit physischer Zahlungsmittel Teil der kollektiven Erinnerung und Finanzkultur sind. Viele Schweizerinnen und Schweizer horten bis heute Bargeld – nicht aus Misstrauen, sondern aus Gewohnheit, Sicherheitsdenken oder generationsbedingter Prägung.

Dass so viele Scheine über Jahrzehnte hinweg nicht zurückgekehrt sind, offenbart aber auch die Grenzen dieser Bargeldbindung. Selbst das sicherste Versteck hilft nicht, wenn es vergessen oder nicht überliefert wird. Die Einführung des Zehnjahreslimits für Rückgaben ist daher nicht nur eine finanztechnische Maßnahme, sondern ein Signal an die Bevölkerung, Bargeld mit Bewusstsein zu behandeln.


Ein Thema mit Zukunft: Neue Serien, neue Fristen, neue Diskussionen

Die aktuelle Ausschüttung betrifft ausschließlich Noten, die in der Schweiz längst außer Kurs sind. Doch auch künftige Serien werden irgendwann ersetzt werden – und mit der neuen Gesetzeslage gelten auch für sie künftig Fristen für Rückgabe und Umtausch. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich solche Effekte in Zukunft wiederholen – in kleinerem Maßstab, aber mit ähnlicher Mechanik.

Zugleich wird die Diskussion um Bargeldnutzung, Digitalisierung und staatliche Kontrolle intensiver. Während viele Länder über die Einführung digitaler Zentralbankwährungen nachdenken, bleibt die Schweiz bislang dem Bargeld treu – allerdings nicht ohne seine Regeln zu verschärfen.

Die Frage, wie viel Bargeld tatsächlich „zirkuliert“ und wie viel „dormant“ ruht, wird künftig nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch bedeutsamer. Die aktuelle Milliardenausschüttung ist deshalb nicht nur ein einmaliger Glücksfall – sondern ein Hinweis darauf, wie viel Potenzial im Unsichtbaren liegen kann.


Fazit: Wenn Vergessen zum Vorteil wird

Es ist eine seltene Konstellation: Millionen nicht eingelöster Geldscheine schaffen finanzielle Entlastung für die öffentliche Hand – ohne zusätzliche Steuererhebung, ohne politische Auseinandersetzung, ohne gesellschaftliche Verlierer. Die Schweiz profitiert damit von ihrer eigenen Bargeldgeschichte – und von der Tatsache, dass Menschen vergesslich, vorsichtig oder schlicht zu spät dran sind.

Der Geldsegen ist buchstäblich aus dem Nichts gekommen. Doch er erinnert daran, dass auch im hochregulierten Finanzsystem nicht jede Bewegung sichtbar, nicht jedes Vermögen abrufbar und nicht jedes Stück Papier verschwunden ist, nur weil es niemand mehr findet. Manchmal braucht es nur einen Gesetzesparagrafen – und eine kluge Buchführung –, um aus dem Vergessenen echten Nutzen zu ziehen.


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