Falsche Anreize im Gesundheitssystem Sind wir alle wirklich so krank?
Rund 250 Milliarden Euro wollen verteilt werden - dafür greifen die Krankenkassen zu allerlei Tricks, denn der Gesundheitsfonds dient zum Finanzausgleich und zahlt in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Krankheit der Mitglieder.
Es ist schon etwas Fantasie notwendig, um als Krankenkasse beim Finanzausgleich die Nase vorn zu haben: Die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeführten Beiträge landen nämlich keineswegs bei den Kassen selbst, sondern fließen zunächst in den Gesundheitsfonds. Hier sammeln sich rund 250 Milliarden Euro, die nun gerecht auf die gesetzlichen Krankenversicherer verteilt werden sollen. Was zunächst ganz plausibel gedacht war, ist längst zum Selbstbedienungsladen verkommen.
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Der Finanzausgleich der Krankenkassen - eine schöne Idee
Grundsätzlich wird zwar ein Wettbewerb zwischen den Krankenkassen gewünscht, um die Leistungen für die Versicherten attraktiv zu halten. Von einer fairen Ausgangsbasis kann allerdings nicht geredet werden: Schon die Zusammensetzung der Mitgliederbestände variiert gravierend, wenn die AOK beispielsweise deutlich mehr alte, bedürftige und kranke Versicherte aufweist, als dies bei den Betriebskrankenkassen der Fall ist. Logischerweise verursachen junge und gesunde Krankenkassenmitglieder deutlich weniger Kosten, was die Aussichten auf satte Gewinne wiederum verbessern würde.
Aus diesem Grund führen die Kassen ihre eingenommenen Beiträge an eben jenen Gesundheitsfonds ab, aus dem sie im Anschluss entsprechend eines Kriterienkataloges pro Patient wieder Geld ausgezahlt bekommen. Dieser Mechanismus nennt sich morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) und kann so auf den Punkt gebracht werden: Je mehr kranke Versicherte, desto höher die Zuwendungen aus dem Gesundheitsfonds. Beispiel: Eine einfache Diabetes ohne Komplikationen bringt 67 Euro pro Monat, kommen Probleme mit den Nieren hinzu, erhöht sich die Leistung auf rund 300 Euro pro Monat.
Ausschlaggebend ist die Diagnose, die der jeweilige Arzt an die Kassen meldet."
Die Rolle der Ärzte in dem Spiel - Krankenkassen fördern Kodierung
Ausschlaggebend ist also die Diagnose, die der jeweilige Arzt an die Kassen meldet: Von den rund 350 Krankheiten stellt das Bundesversicherungsamt rund 80 zur Auswahl - die kostenintensiven Krebserkrankungen fallen allerdings durch das Raster. Wie das Diabetes-Beispiel zeigt, können aber kleine Änderungen große Wirkungen verursachen, sodass sich einige Krankenkassen intensiv um die Ärzte bemühen: Diese bekommen für die optimale Kodierung sowohl eine ausführliche Beratung als auch eine zusätzliche Vergütung. Letztere dürfte für die Ärzte vielleicht nicht ausschlaggebend sein, erlaubt die "richtige Kodierung" doch eine Flexibilisierung des Monatsbudgets - von den Bonuszahlungen ganz abgesehen.
Nun werden Vorwürfe laut und es soll Untersuchungen geben, um diesen "Interventionen" Einhalt zu gebieten. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, müssten einerseits alle 350 Krankheiten berücksichtigt und andererseits die gesamten Auszahlungsmodalitäten kritisch analysiert werden. Es geht aber um 250 Milliarden Euro - drastische Änderungen werden dadurch unwahrscheinlich.