Exchange-traded Funds (ETFs) gelten seit Jahren als Symbol für demokratisierten Kapitalzugang, Transparenz und niedrige Kosten

Konzentration in Mega-Caps Systemische Risiken bei ETF

Exchange-traded Funds (ETFs) gelten seit Jahren als Symbol für demokratisierten Kapitalzugang, Transparenz und niedrige Kosten. Doch mit ihrem Aufstieg zur dominanten Kraft im weltweiten Anlagegeschäft sind auch neue Risiken und Nebenwirkungen entstanden, die zunehmend die Aufmerksamkeit von Aufsichtsbehörden, Wissenschaft und institutionellen Investoren auf sich ziehen.

Ein zentrales Thema ist die Konzentration von Kapital in sogenannten Mega-Caps – also den größten börsennotierten Unternehmen, vor allem aus dem US-Technologiesektor. Diese Konzentration ist kein Zufall, sondern strukturell im Design kapitalgewichteter Indizes verankert, denen die meisten ETFs folgen. Die Folge: Immer mehr Anleger investieren passiv in dieselben Titel, was Märkte verzerren, Preissignale entwerten und im Krisenfall gefährlich sein kann.


Wie ETFs Kapital bündeln – und warum das problematisch ist

Die meisten ETFs sind nach Marktkapitalisierung gewichtet. Das bedeutet: Je größer der Börsenwert eines Unternehmens, desto höher sein Anteil im Index – und damit im ETF.

Da weltweit Milliardenbeträge passiv in ETFs fließen, bedeutet das im Umkehrschluss: Große Unternehmen erhalten automatisch den größten Anteil der Kapitalzuflüsse, ganz unabhängig von ihrer Bewertung oder Qualität.

Besonders betroffen sind Aktien wie Apple, Microsoft, Amazon, Nvidia, Alphabet oder Meta. Diese Unternehmen – oft als „Big Tech“ oder „Magnificent Seven“ bezeichnet – machen in vielen globalen Indizes bereits mehr als 20 % der Gesamtgewichtung aus.

In spezifischen Indizes wie dem Nasdaq 100 oder dem S&P 500 ist die Konzentration noch ausgeprägter.

Dieser Mechanismus führt zu einem selbstverstärkenden Kreislauf: Kapital fließt in ETFs → ETFs kaufen die größten Titel → diese steigen weiter → sie werden im Index höher gewichtet → ETFs kaufen noch mehr davon. Ein Markt, der auf solch mechanische Regeln reagiert, verliert zunehmend die Funktion, individuelle Unternehmenswerte differenziert zu reflektieren.


Systemische Risiken: Was passiert, wenn der Kreislauf kippt?

Solange die Kurse der Mega-Caps steigen und das ETF-Geschäft wächst, erscheint das System stabil. Doch diese Stabilität ist trügerisch, denn sie hängt von einer kollektiven Richtung der Anlegerströme ab. Sollte sich die Marktstimmung drehen, könnten ETFs in großem Umfang verkaufen – wiederum vor allem bei den großen Titeln. Das Ergebnis wäre ein konzertierter Abverkauf der ohnehin überrepräsentierten Mega-Caps mit potenziell globalen Folgen.

Hinzu kommt: Viele ETFs sind heute in Rentenversicherungen, Altersvorsorgeportfolios und Unternehmensreserven eingebettet. Eine plötzliche Abwertung der Mega-Caps würde nicht nur einzelne Investoren treffen, sondern könnte ganze Pensionssysteme oder institutionelle Bilanzen erschüttern.

Die strukturelle Abhängigkeit von wenigen Großunternehmen wird damit zu einem makroökonomischen Risiko – vergleichbar mit Klumpenrisiken im Bankensektor vor der Finanzkrise.


Marktverzerrung durch Preismechanik

Ein weiteres Risiko ergibt sich aus der Art und Weise, wie Preise an den Kapitalmärkten zustande kommen. In einem klassischen Markt bewerten Investoren einzelne Unternehmen anhand ihrer Geschäftszahlen, Zukunftsperspektiven und fundamentalen Kennzahlen. Doch je mehr Kapital in ETFs gebunden ist, desto mehr entkoppeln sich Kaufentscheidungen von individuellen Bewertungen.

Der Preis eines Unternehmens steigt dann nicht mehr, weil es besser wird, sondern weil es groß ist und im Index vertreten ist. Das kann zu Überbewertungen führen, die durch herkömmliche Bewertungsmodelle kaum mehr zu rechtfertigen sind – ein Phänomen, das bereits in der Dotcom-Blase der späten 1990er Jahre zu beobachten war.

Ein Nebeneffekt dieser Dynamik ist die Abwertung kleinerer, nicht indexrelevanter Unternehmen, die trotz solider Geschäftsperspektiven unterrepräsentiert sind und dadurch weniger Kapital anziehen. Der Kapitalmarkt wird so zugunsten der Etablierten verzerrt, Innovation und Diversifikation leiden.


Auswirkungen auf Unternehmensführung und Wettbewerb

ETFs sind nicht das Problem – sie spiegeln nur die Realität der Märkte wider. Doch je mehr Kapital durch sie fließt, desto mehr verstärken sie bestehende Trends: Größer wird größer, beliebt wird beliebter, liquide wird liquider. In dieser Spirale entsteht ein Risiko, das nicht im Produkt selbst liegt, sondern in seiner Masse und Monotonie."

Die steigende Macht passiver Kapitalströme hat auch Implikationen für die Corporate Governance. Da ETFs Anteile halten, ohne aktiv Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen, verlagert sich die Kontrolle zunehmend auf die großen ETF-Anbieter wie BlackRock, Vanguard oder State Street. Diese kontrollieren zusammen signifikante Stimmrechte in tausenden börsennotierten Unternehmen – oft, ohne diese aktiv auszuüben.

Das führt zu einer paradoxen Situation: Kapitalbesitz wird konzentriert, ohne Verantwortung mit sich zu bringen. Kritiker sprechen von einer „Index-Oligarchie“, die zwar de facto Macht über Unternehmensstrategien besitzt, aber demokratisch kaum legitimiert ist. In Bereichen wie Klimapolitik, Diversität oder Technologieentwicklung stellt sich damit die Frage, wer eigentlich die Richtung vorgibt, wenn Großaktionäre passiv bleiben.

Gleichzeitig erschwert die Dominanz großer Unternehmen in den Indizes den Markteintritt neuer Wettbewerber, die es schwer haben, sich gegen die schiere Kapitalmacht etablierter Titel zu behaupten.


Lösungsansätze und regulatorische Diskussion

Die Debatte um systemische Risiken durch ETF-Konzentration ist längst in den politischen Raum vorgedrungen. Finanzaufsichtsbehörden und Zentralbanken beobachten die Entwicklung mit wachsender Sorge, ohne jedoch einfache Lösungen parat zu haben.

Diskutiert werden etwa:

  • Begrenzung der Indexgewichtung einzelner Titel, etwa durch gleichgewichtete Indizes oder Faktorstrategien.
  • Förderung aktiver Anlagestrategien durch steuerliche Anreize oder Informationskampagnen.
  • Stärkere Offenlegungspflichten für ETF-Anbieter in Bezug auf Stimmrechtsausübung und Unternehmensbeteiligung.

Allerdings ist klar: Eine pauschale Regulierung von ETFs wäre politisch schwer durchsetzbar und könnte unbeabsichtigte Nebenwirkungen erzeugen. Vielmehr bedarf es eines differenzierten Verständnisses der strukturellen Effekte und eines informierten Diskurses über Marktarchitektur im digitalen Zeitalter.


Fazit: ETFs als Spiegel – und Verstärker – der Marktrealität

ETFs sind nicht das Problem – sie spiegeln nur die Realität der Märkte wider. Doch je mehr Kapital durch sie fließt, desto mehr verstärken sie bestehende Trends: Größer wird größer, beliebt wird beliebter, liquide wird liquider. In dieser Spirale entsteht ein Risiko, das nicht im Produkt selbst liegt, sondern in seiner Masse und Monotonie.

Die ETF-Konzentration in Mega-Caps ist kein kurzfristiges Phänomen, sondern ein struktureller Effekt. Wer langfristig investieren will, sollte diese Dynamik verstehen – und bewusst Strategien wählen, die Klumpenrisiken reduzieren und die Vielfalt der Märkte erhalten. Denn das eigentliche Ziel jeder Geldanlage sollte nicht nur die Rendite sein – sondern auch die Resilienz gegenüber unerwarteten Schocks.

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