Die Zunft der Chef-Ökonomen und Anlage-Gurus könnte ohne den Glauben an sie nicht existieren

Chef-Ökonomen und Anlage-Gurus Die Geschichtenerzähler

Die Menschen wollten seit jeher gerne einen Blick in die Zukunft werfen. Anders sind "Erfolgsgeschichten" wie die des Orakels von Delphi kaum zu erklären. Das Orakel ist Vergangenheit, doch wer meint, der durch Aufklärung und Wissenschaft geprägte moderne Mensch sei für Prophezeiungen nicht mehr zugänglich, irrt. Die Zunft der Chef-Ökonomen und Anlage-Gurus könnte ohne den Glauben an sie nicht existieren.

An den Börsen sind Vorhersagen besonders gefragt. Schließlich sind viele Börsenakteure immer noch davon überzeugt, durch die Wahl des "richtigen" Zeitpunkts zukünftige Entwicklungen und Trends vorwegnehmen und dadurch besonders profitieren zu können. Und auch wenn dieses Kalkül meistens nicht aufgeht, wird dies eher dem "Pech" als einem systematischen Fehler in der Herangehensweise zugeschrieben.

Trotz Fehlprognosen kein Vertrauensverlust

Ein anderes erstaunliches Phänomen ist dieses: Selbst wenn "Experten" mit Vorhersagen völlig danebenliegen, wird ihnen bei nächster Gelegenheit wieder gerne zugehört. Fehlprognosen führen nicht unbedingt zum Vertrauensverlust. Und so kommt kaum eine Börsensendung oder Marktanalyse ohne die Meinung von Chef-Ökonomen und Anlage-Gurus aus. Deren Erklärungen der Zukunft sind allzu oft rein monokausal und basieren auf einfachen "Wenn-Dann"-Beziehungen. Wenn die amerikanische Notenbank die Zinsen weiter anhebt, dann wird der Euro noch stärker nachgeben. Wenn Donald Trump sein angekündigtes Infrastrukturprogramm auflegt, dann wird die US-Wirtschaft ein dynamisches Wachstum entfalten usw.

Dass viele Vorhersagen so "simpel" gestrickt sind, liegt nicht zuletzt an der beschränkten Sendezeit bzw. dem zur Verfügung stehenden Textplatz. Natürlich gibt es auch ernsthaftere Prognoseansätze, die der Zukunft mit ausgeklügelten Methoden näherrücken wollen und nicht monokausal agieren. Vielfach werden komplexe Modelle mit hochentwickelten mathematisch-statistischen Verfahren eingesetzt. Diese Vorhersagen mögen fundierter sein, zur richtigen Erkenntnis führen sie trotzdem in vielen Fällen nicht. 

Trotz aller berechtigten Zweifel, Prognosen haben "Dauerkonjunktur"."

Das Bedürfnis nach Welterklärung 

Das liegt zum einen daran, dass es immer wieder "überraschende" Ereignisse gibt, die in den Modellen nicht abgebildet werden können. Die Brexit-Entscheidung war so ein Ereignis, ebenso die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die daraufhin erfolgten Börsenreaktionen. Zum anderen sind die Zusammenhänge im weltweiten Wirtschaftsgeschehen so vielfältig und kompliziert, dass sie sich modellmäßig kaum hinreichend erfassen lassen. Jedes Modell ist zwangsläufig eine Vereinfachung der realen Welt und muss abstrahieren. Dadurch werden ggf. wichtige Daten nicht berücksichtigt. 

Trotz aller berechtigten Zweifel, Prognosen haben "Dauerkonjunktur". An der Aussagekraft kann es nicht liegen, doch was ist es dann, was sie so attraktiv macht? Es ist vielleicht ein menschliches Urbedürfnis, Geschichten zu hören, die die Welt erklären, um das Gefühl der Kontrolle und Orientierung in einer unübersichtlichen Wirklichkeit zu behalten.

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