Risiko von Verzerrung Algorithmische Entscheidungen
Der Einsatz algorithmischer Systeme im Vertrieb von Finanz- und Konsumprodukten hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Ob Produktempfehlung, Preisgestaltung, Kreditvergabe oder Risikobewertung – immer häufiger übernehmen automatisierte Prozesse Aufgaben, die früher ausschließlich von Menschen entschieden wurden.
Der Vorteil liegt auf der Hand: Algorithmen sind skalierbar, schnell, datenbasiert und scheinbar objektiv. Doch mit dieser Effizienz kommt auch Verantwortung. Denn algorithmische Entscheidungen sind nicht automatisch fair. Vielmehr spiegeln sie oft bestehende Verzerrungen, Vorannahmen und systemische Ungleichheiten wider.
Vor diesem Hintergrund rückt die Frage nach Fairness im Vertrieb zunehmend ins Zentrum. Sie betrifft nicht nur Technik und Regulierung, sondern auch das Selbstverständnis von Unternehmen, die automatisierte Vertriebsprozesse einsetzen.
Was bedeutet Fairness im Kontext algorithmischer Systeme?
Fairness ist ein vielschichtiger Begriff. In der algorithmischen Entscheidungsfindung kann er sich auf unterschiedliche Ebenen beziehen:
- Prozedurale Fairness: Wurde der Entscheidungsprozess nachvollziehbar und gleichbehandelnd durchgeführt?
- Distributive Fairness: Sind die Ergebnisse der Entscheidung – z. B. Preis, Angebot oder Ablehnung – gerecht zwischen verschiedenen Gruppen verteilt?
- Transparente Fairness: Kann der betroffene Kunde verstehen, wie und warum eine Entscheidung zustande gekommen ist?
Diese Dimensionen zeigen: Fairness ist nicht allein eine Frage des Outputs, sondern umfasst auch die Prozesse, Kriterien und Erklärbarkeit algorithmischer Systeme.
Risiko von Verzerrung: Algorithmen sind nicht neutral
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Einer der häufigsten Irrtümer besteht darin, Algorithmen für objektiv zu halten.
Tatsächlich basieren sie auf Daten, Modellen und Parametern – und damit auf menschlichen Entscheidungen.
Wenn Trainingsdaten Verzerrungen enthalten, verstärken Algorithmen diese systematisch. So können etwa:
- Kunden aus bestimmten Wohngebieten schlechtere Kreditkonditionen erhalten,
- Frauen seltener Anlageprodukte empfohlen bekommen,
- ältere Menschen häufiger als „niedrig digitalaffin“ eingestuft und aus Vertriebskampagnen ausgeschlossen werden.
Diese Verzerrungen sind oft unbeabsichtigt, aber folgenreich.
Ohne bewusst gesetzte Fairness-Kriterien droht algorithmische Diskriminierung – subtil, systemisch und schwer erkennbar.
Fairness beginnt mit Daten und Modelllogik
Ein zentrales Fairness-Kriterium ist die Auswahl und Bewertung der zugrunde liegenden Daten. Nicht alle Merkmale sollten gleichwertig in ein Vertriebsmodell einfließen dürfen. So sind sensible Merkmale wie Alter, Geschlecht, Ethnie oder Herkunft besonders kritisch, auch wenn sie statistisch erklärungskräftig sein mögen.
Es braucht daher klare Richtlinien für:
- Die Auswahl zulässiger Datenquellen,
- den Umgang mit personenbezogenen oder sensiblen Merkmalen,
- das Training, Testen und regelmäßige Auditieren der Modelle.
Besonders wichtig ist dabei auch die Vermeidung von indirekter Diskriminierung – also dann, wenn scheinbar neutrale Merkmale (wie Postleitzahl oder Gerätetyp) als Stellvertreter für sensible Kategorien fungieren.
Erklärbarkeit als Fairness-Faktor
Algorithmische Entscheidungen im Vertrieb bieten Chancen, Prozesse effizienter, passgenauer und kundenorientierter zu gestalten. Doch diese Chancen dürfen nicht auf Kosten von Gerechtigkeit, Transparenz und Gleichbehandlung realisiert werden."
Ein weiteres zentrales Kriterium ist die Erklärbarkeit von Entscheidungen. Kunden, die von einem Algorithmus ein bestimmtes Angebot erhalten – oder eben nicht –, müssen verstehen können, warum das so ist. Gerade in sensiblen Bereichen wie Finanzprodukten, Versicherungstarifen oder Krediten ist dies entscheidend für das Vertrauen in automatisierte Systeme.
Hierbei geht es nicht um vollständige Offenlegung komplexer mathematischer Modelle, sondern um nachvollziehbare Kommunikation: Welche Kriterien waren ausschlaggebend? Wurde etwas ausgeschlossen? Gibt es Alternativen? Transparenz schafft Akzeptanz – und reduziert das Gefühl, anonymen, nicht hinterfragbaren Systemen ausgeliefert zu sein.
Governance und Verantwortlichkeit
Fairness in algorithmischen Vertriebssystemen erfordert eine verlässliche Governance-Struktur. Unternehmen dürfen Verantwortung nicht an Systeme delegieren. Stattdessen braucht es klare Rollen, Prozesse und ethische Leitplanken:
- Wer prüft neue Modelle auf diskriminierende Effekte?
- Wer entscheidet, welche Daten zulässig sind?
- Wie werden Kundenfeedback und Beschwerden in die Modellpflege integriert?
Solche Fragen müssen nicht nur technisch, sondern auch kulturell verankert sein. Fairness wird nicht allein durch Regulierung oder Software erreicht, sondern durch Haltung und kontinuierliche Überprüfung.
Regulatorische Entwicklungen und gesellschaftliche Erwartungen
Mit wachsendem Einsatz algorithmischer Systeme nimmt auch die regulatorische Aufmerksamkeit zu. In der EU zielt der geplante AI Act darauf ab, Hochrisiko-Anwendungen wie automatisierte Kreditvergabe oder Versicherungsentscheidungen besonders zu regulieren. Auch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verlangt Transparenz bei automatisierten Entscheidungen und räumt Betroffenen Widerspruchsrechte ein.
Doch jenseits der rechtlichen Pflichten steigen auch die Erwartungen der Kunden. Fairness wird zum Wettbewerbsfaktor: Wer seine Algorithmen transparent, gerecht und erklärbar gestaltet, kann Vertrauen gewinnen – und sich von intransparenten Wettbewerbern abheben.
Fazit: Fairness ist kein Nebenprodukt – sondern ein Designprinzip
Algorithmische Entscheidungen im Vertrieb bieten Chancen, Prozesse effizienter, passgenauer und kundenorientierter zu gestalten. Doch diese Chancen dürfen nicht auf Kosten von Gerechtigkeit, Transparenz und Gleichbehandlung realisiert werden.
Fairness muss von Anfang an mitgedacht werden: in der Modellierung, im Datenmanagement, in der Kommunikation, in der Governance. Nur dann gelingt es, digitale Vertriebssysteme so zu gestalten, dass sie nicht nur präzise, sondern auch gerecht sind – und damit langfristig tragfähig.

fair, ehrlich, authentisch - die Grundlage für das Wohl aller Beteiligten