Und die Lokführer? Autonome Züge faszinieren
Die Idee ist verlockend: Züge, die sich selbstständig durch das Schienennetz bewegen, sicher, präzise, effizient – und ohne menschlichen Lokführer im Führerstand.
Autonomes Fahren fasziniert nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch den Schienenverkehr. Und doch: Während fahrerlose U-Bahnen in Metropolen wie Paris, Nürnberg oder Dubai längst Realität sind, lässt der große Durchbruch bei vollautomatisierten Fern- und Regionalzügen weiter auf sich warten.
Woran liegt das? Und wie lange werden wir Lokführer noch brauchen? Die Antworten fallen differenziert aus – denn sie liegen nicht nur in der Technik, sondern auch in der Infrastruktur, der Regulierung und im gesellschaftlichen Wandel.
Fahrerlos ist nicht gleich autonom
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Zunächst gilt es, zu differenzieren: Wenn von „autonomen Zügen“ die Rede ist, sind verschiedene Stufen der Automatisierung gemeint.
Im urbanen Nahverkehr gibt es bereits sogenannte Grade of Automation (GoA), die vier Stufen unterscheiden – von manuellem Fahren (GoA 0) bis zum vollautomatisierten Betrieb ohne Personal an Bord (GoA 4).
In vielen modernen Metrosystemen fahren Züge bereits heute:
- automatisch (GoA 2/3), aber mit Begleitpersonal im Führerstand,
- oder sogar vollautonom (GoA 4), inklusive automatischem Start, Stopp, Türöffnung und Notfallmanagement.
Diese Systeme sind jedoch meist auf abgeschottete, speziell ausgebaute Netze beschränkt – also ohne Bahnübergänge, mit festen Fahrplänen und standardisierten Fahrzeugtypen.
Im klassischen Schienenverkehr, vor allem im offenen Mischverkehr mit Güterzügen, Regionalbahnen und Fernverkehr, ist ein solches Niveau der Autonomie bislang unerreicht.
Technik ist vorhanden – aber noch nicht überall praxistauglich
Die technologischen Komponenten für autonomes Fahren auf der Schiene existieren längst: Sensoren, Kameras, Lidar-Systeme, GPS, Steuerungssoftware, zentrale Leitstellen – sie alle wurden in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt. In Pilotprojekten weltweit werden automatisierte Lokomotiven getestet, etwa:
- in Australien, wo Rio Tinto vollautonome Güterzüge in der Pilbara-Region betreibt,
- in Deutschland, wo die Deutsche Bahn und Siemens 2021 in Hamburg einen autonomen S-Bahn-Zug vorstellten,
- in Frankreich, wo die SNCF gemeinsam mit Alstom an automatisierten Hochgeschwindigkeitszügen arbeitet.
Doch: Die Serienreife für ein flächendeckendes System ist noch nicht gegeben. Hauptprobleme sind:
- die Vielfalt an Infrastrukturen, Signalsystemen und Streckenabschnitten,
- die fehlende digitale Vernetzung über das gesamte Netz hinweg,
- und die Unsicherheiten bei komplexen Fahrsituationen, etwa bei Baustellen, Personen im Gleis oder unvorhergesehenen Wetterbedingungen.
Solange diese Hürden nicht genommen sind, bleibt der Lokführer an Bord nicht nur notwendig, sondern sicherheitsrelevant.
Der Mensch bleibt (vorerst) unersetzlich
Der Wandel hat begonnen. Und er wird den Beruf verändern – von der klassischen Fahrrolle hin zur digital unterstützten Systemsteuerung. Die Zukunft des Bahnverkehrs ist automatisiert. Aber nicht vollständig fahrerlos. Noch nicht."
Lokführerinnen und Lokführer haben eine Vielzahl von Aufgaben, die weit über das reine Steuern hinausgehen. Sie übernehmen:
- Verantwortung im Notfall,
- Kommunikation mit der Leitstelle,
- Kontrolle und Überprüfung der Technik,
- Beurteilung unklarer Verkehrssituationen,
- sowie Verhalten im Personenverkehr, etwa bei Zwischenfällen im Zug.
Zwar lassen sich viele dieser Aufgaben technisch nachbilden – aber nicht mit der Flexibilität und Intuition eines Menschen. Und genau das macht autonome Systeme im offenen Bahnbetrieb so anspruchsvoll: Sie müssen nicht nur funktionieren, sondern verlässlich mit unvorhersehbaren Ereignissen umgehen können.
Ein Blick in die Zukunft: Evolution statt Revolution
Die absehbare Zukunft liegt nicht im abrupten Ersatz des Lokführers, sondern in einer graduellen Zunahme der Automatisierung. Züge werden zunehmend mit Assistenzsystemen ausgestattet, die das Fahren unterstützen, Fehler vermeiden helfen und für mehr Effizienz sorgen. Die Aufgaben des Fahrpersonals verschieben sich dabei – vom aktiven Steuern hin zur Überwachung, Intervention und Systemkontrolle.
Langfristig könnten wir Szenarien sehen, in denen:
- Züge auf bestimmten Abschnitten autonom fahren,
- in Randzeiten ohne Lokführer unterwegs sind,
- oder güterverkehrsspezifische Korridore automatisiert werden – etwa im Nachtbetrieb.
Ein vollständiger Wegfall des Lokführers im regulären Personenverkehr liegt allerdings – realistisch betrachtet – noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt.
Fazit: Autonomes Fahren kommt – aber der Lokführer bleibt einstweilen unersetzlich
Autonome Züge sind keine Utopie mehr – in geschlossenen Systemen funktionieren sie bereits seit Jahren zuverlässig. Doch der Schritt zum offenen, gemischten Schienennetz ist komplex. Es sind weniger die technischen Möglichkeiten, sondern die infrastrukturellen, regulatorischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die den Fortschritt bremsen.
Solange diese Herausforderungen nicht gelöst sind, bleibt der Lokführer ein zentraler Bestandteil des Bahnbetriebs. Nicht als Auslaufmodell – sondern als Garant für Sicherheit und Verlässlichkeit.

Ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit motivierten Menschen auf beiden Seiten zusätzliche Energie freisetzt