Starökonom Rogoff Der Dollar ist auf dem Rückzug
Kenneth Rogoff, renommierter Harvard-Ökonom und ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, sorgt mit seiner jüngsten Analyse zur weltweiten Währungsarchitektur für Aufsehen. In seinem neuen Buch beschreibt er, wie sich die seit Jahrzehnten bestehende Vormachtstellung des US-Dollars allmählich auflöst – und durch ein komplexeres, multipolares System ersetzt wird.
Zwar bleibt der Dollar bislang unangefochten die wichtigste Leitwährung der Welt, doch Rogoff erkennt starke strukturelle Erosionskräfte, die diese Dominanz untergraben. Besonders Kryptowährungen, geopolitische Umbrüche und der Aufstieg Chinas wirken dabei als Beschleuniger eines Prozesses, der lange unterschätzt wurde.
Die Dollar-Dominanz – ein Relikt vergangener Machtverhältnisse?
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der US-Dollar das zentrale Rückgrat des internationalen Finanzsystems. Der Großteil des globalen Handels, der Schuldenaufnahme und der Währungsreserven wird in Dollar abgewickelt. Doch Rogoff sieht dieses Modell in einer historischen Übergangsphase.
Zwar profitiert der Dollar weiterhin von der Tiefe der amerikanischen Kapitalmärkte, der politischen Stabilität der USA und der Liquidität ihrer Finanzinstitute. Doch diese Vorteile verlieren im Kontext neuer globaler Realitäten zunehmend an Strahlkraft.
Der Dollar sei, so Rogoff, nicht mehr selbstverständlich alternativlos. Immer mehr Länder, insbesondere aufstrebende Volkswirtschaften, wollen sich aus der Abhängigkeit vom Greenback lösen – sei es aus geopolitischer Vorsicht oder strategischer Eigenständigkeit.
Drei Triebkräfte der Veränderung
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Rogoff identifiziert in seinem Buch drei zentrale Entwicklungen, die die Vormacht des Dollars unterminieren:
- Digitale Währungen: Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum, aber auch digitale Zentralbankwährungen (CBDCs), schaffen neue, alternative Transaktionssysteme außerhalb des traditionellen Dollar-gestützten Finanznetzwerks.
- Der Aufstieg Chinas: Die Volksrepublik China baut systematisch eine Parallelstruktur auf – mit dem Renminbi als potenzieller Handelswährung, dem Zahlungssystem CIPS als Alternative zu SWIFT und geopolitischen Allianzen mit dem globalen Süden.
- Geopolitische Polarisierung: Der Krieg in der Ukraine, US-Sanktionen gegen Iran oder Russland und die zunehmende Unberechenbarkeit amerikanischer Politik untergraben das Vertrauen vieler Staaten in die Neutralität des US-geführten Finanzsystems.
Diese Faktoren wirken nicht isoliert, sondern verstärken sich gegenseitig.
Für Rogoff steht deshalb fest: Die Welt bewegt sich weg von einem Dollar-Zentrismus hin zu einer fragmentierten Währungslandschaft.
Das Ende der Dollar-Vorherrschaft – schleichend, aber spürbar
Anders als dramatische Schlagzeilen suggerieren, sieht Rogoff keinen abrupten Zusammenbruch der Dollar-Dominanz. Vielmehr erwartet er einen langsamen, aber stetigen Rückzug – vergleichbar mit dem langfristigen Bedeutungsverlust des britischen Pfund nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dieser Rückzug äußert sich etwa darin, dass Notenbanken ihre Reserven zunehmend diversifizieren, Handelsverträge zunehmend in alternativen Währungen abgeschlossen werden und auch Rohstofftransaktionen nicht mehr ausschließlich in Dollar denominiert sind.
Rogoff betont dabei, dass die USA durch diese Entwicklung an Einfluss verlieren – etwa bei der Sanktionierung unerwünschter Staaten, bei der Steuerung globaler Kapitalflüsse und letztlich auch bei der Refinanzierung ihrer Schulden über günstige Dollaranleihen.
Herausforderungen für Europa – und Chancen für den Euro?
Kenneth Rogoff liefert mit seinem Buch eine fundierte, differenzierte Analyse des Wandels im globalen Währungssystem. Seine These: Die Dollar-Dominanz ist kein Naturgesetz – sie beruht auf politischen, ökonomischen und institutionellen Voraussetzungen, die sich aktuell verschieben."
In der Analyse Rogoffs spielt Europa eine ambivalente Rolle. Einerseits böte der Euro alle Voraussetzungen, um eine stärkere internationale Stellung einzunehmen: wirtschaftliche Größe, Stabilität, politischer Pluralismus. Andererseits fehle es an institutioneller Tiefe: keine gemeinsame Fiskalpolitik, fragmentierte Kapitalmärkte, politische Uneinigkeit.
Rogoff sieht dennoch Chancen: Sollte Europa seine wirtschaftliche Integration vertiefen, könnten digitale Innovationen wie der digitale Euro ein Katalysator für größere internationale Euro-Nutzung sein. Voraussetzung sei allerdings, dass sich die EU außenpolitisch klarer positioniert und eine kohärente geopolitische Strategie verfolgt – ein Bereich, in dem derzeit noch viel Unsicherheit herrscht.
Eine neue Währungsordnung – dezentral, digital, politisiert
Kenneth Rogoff entwirft letztlich das Bild einer kommenden Währungsordnung, die nicht mehr von einer einzigen Währung dominiert wird, sondern durch ein Zusammenspiel mehrerer Geldsysteme geprägt ist.
Diese neue Ordnung ist aus seiner Sicht:
- dezentraler, weil nationale Währungen und regionale Blöcke mehr Gewicht erhalten
- digitaler, weil Transaktionen zunehmend über CBDCs oder Blockchain-basierte Lösungen laufen
- politisierter, weil Währungen nicht mehr nur ökonomisch, sondern auch strategisch eingesetzt werden
Für Anleger, Unternehmen und Staaten bedeutet das eine zunehmende Komplexität – aber auch neue Gestaltungsspielräume. Rogoff warnt jedoch: Ohne Regulierung, klare Institutionen und eine belastbare globale Finanzarchitektur droht eine Phase instabiler Interdependenz, in der Vertrauen zur knappen Ressource wird.
Fazit: Der Dollar bleibt stark – aber nicht unantastbar
Kenneth Rogoff liefert mit seinem Buch eine fundierte, differenzierte Analyse des Wandels im globalen Währungssystem. Seine These: Die Dollar-Dominanz ist kein Naturgesetz – sie beruht auf politischen, ökonomischen und institutionellen Voraussetzungen, die sich aktuell verschieben.
Ob der Dollar auf Dauer seine zentrale Rolle behaupten kann, hängt nicht nur von der Stärke der US-Wirtschaft ab, sondern von globaler Akzeptanz, technologischer Innovation und geopolitischer Glaubwürdigkeit. In all diesen Bereichen steht Amerika vor Herausforderungen – und andere Akteure, wie China oder die EU, sind bereit, neue Räume zu besetzen.
Rogoffs Fazit ist kein Abgesang, sondern ein Weckruf: Die Ära einer einpoligen Währungswelt geht zu Ende – was kommt, ist offener, dynamischer, riskanter. Und sie wird entscheidend prägen, wie sich Macht, Kapital und Vertrauen in der Welt verteilen.
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