Großbritannien nach dem Provisionsverbot Entmündigung der Kunden
In Großbritannien darf Finanz- und Vermögensberatung seit 2013 nicht mehr auf Provisionsbasis erfolgen. Das generelle Provisionsverbot zeigt erste Auswirkungen am Markt: Die Online-"Beratung" ist im Kommen.
Seit es das Provisionsverbot auf der Insel gibt, müssen Kunden für die Finanz- und Vermögensberatung direkt bezahlen. Mit der Einführung des sogenannten Retail Distribution Review (sinngemäße Übersetzung: Überprüfung des Vertriebs im Endkundengeschäft) sollte mehr Transparenz und Fairness in der Finanzindustrie hergestellt werden.
Paradigmenwechsel - der Retail Distribution Review
Die Beratung auf Provisionsbasis wurde 2013 verboten und die britischen Kunden zahlen daher jetzt für Beratung ausschließlich auf Honorarbasis. Mit der Etablierung des Regelwerks wollte man die Beratungskosten senken und die Qualität der Beratung verbessern. Die Finanzaufsichtsbehörde FCA hat damit auch eine Dreiteilung bei Investment-Managern vorgenommen:
- solche, die nur Aufträge von Kunden annehmen und abwickeln, ohne zu beraten ('execution only');
- solche, die in gewissem Umfang Verantwortung bei Investment-Entscheidungen von Kunden übernehmen ('discretionary')
- und solche, die noch im eigentlichen Sinne persönlich beraten ('advisory').
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Discount-Beratung im Internet als Konsequenz
Diese Differenzierung in Verbindung mit dem generellen Provisionsverbot zeigt mittlerweile auch spürbare negative Wirkung. Denn sie hat eine neue Kategorie von Finanz- und Vermögens"beratung" auf den Markt gespült: Die Online-"Beratung". Es handelt sich dabei um Discount-"Beratung", die den persönlichen Kontakt überflüssig machen soll. Das Internet ist das ideale Medium, um die Online-"Beratung" umzusetzen. Anbieter können hier auf die Präsenz vor Ort und aufwändige Geschäftsräume verzichten sowie mit einem Minimum an Personal auskommen. Die Kommunikation findet bevorzugt über Telefon, E-Mail und Live-Chat statt. Und der Beratungsprozess ist weitgehend standardisiert. Der Nutzer wird per Menü durch einen Fragenkatalog geführt, Empfehlungen werden auf Basis der Antworten durch das System automatisch generiert.
Die Fragen sind rudimentärer als im persönlichen Gespräch mit dem klassischen Finanz- und Vermögensberater, die Antwortmöglichkeiten damit standardisiert und vorgegeben. Empfohlen werden vor allem die Produkte, die einfach gestrickt, auf viele gleichermaßen passend und damit nicht individuell ausgerichtet sind. Es zeichnet sich damit für den Großteil der Endverbraucher eine Produktwelt voller Standardprodukte ab und ebenso ein technischer Beratungsprozess, der auf Vereinheitlichung setzt.
Nicht im Verbraucherinteresse
Es versteht sich von selbst, dass die Kosten der Discount-"Beratung" bei Online-Unterstützung deutlich unter denen der klassischen persönlichen Beratung liegen. Dabei lässt sich bereits eine Aufspaltung des Marktes erkennen. Banken und Großmakler in Großbritannien kümmern sich bevorzugt nur noch um Kunden, die genügend Geschäftssubstanz mitbringen, damit sich die Beratung auch "lohnt". 50.000 bis 100.000 Pfund Vermögen und 50.000 Pfund Jahreseinkommen sind dabei das Minimum.
Kunden, die individuelle Beratung wünschen und nicht den vorgenannten Einstiegsbedingungen entsprechen, sind auf die Discounter angewiesen, weil durch das Provisions- bzw. Courtageverbot der Maklermarkt sich dramatisch verändert hat.
Dramatische Marktveränderung gegen Kundeninteressen
Die vielen Einzel- und Kleinmaklerunternehmen sind vom Markt verschwunden. Nur noch 5 Versicherungsgesellschaften teilen sich heute den Markt. Das ist ein klassisches Oligopol. Deutlicher ausgedrückt: sie verfügen über die Marktmacht und den Kunden bleibt zum Ausgleich die "Ohnmacht" - sie werden zum Spielball der Interessen der Anbieter.
Ein Nebeneinander von provisions- und honorarbasierter Beratung ist die eindeutig bessere Lösung."
Das Dilemma zeigt sich mehr als deutlich: Das generelle Provisionsverbot führt für die meisten britischen Kunden nicht zu mehr und besserer Beratung. Wer nicht genug Geld mitbringt, muss sich mit der Standard-Beratung begnügen oder ganz darauf verzichten. Der ursprünglichen Zielsetzung des Provisionsverbots läuft diese Entwicklung zuwider. Ein Nebeneinander von provisions- und honorarbasierter Beratung ist die eindeutig bessere Lösung.
Wann sich diese Erkenntnis auch in Großbritannien wieder durchsetzen wird bleibt abzuwarten. Es kann nur gehofft werden, dass dies ähnlich wie in Deutschland geschieht, wo diese Entwicklung vorhergesehen wurde und beide Vergütungsformen nunmehr parallel angeboten werden und der Kunde entscheidet, welche Vergütungsform für ihn die beste ist! Oder schauen wir nach Finnland, dort wurde die gleiche Entwicklung wie in Großbritannien gemacht und im Rahmen einer Studie über die siebenjährigen dortigen Erfahrung mehr als kritisch berichtet wird.