Auch Profi-Anleger lieben die Heimat Home Bias
Dass Privatanleger in ihren Portfolios einen sogenannten Home Bias aufweisen – also eine deutliche Übergewichtung heimischer Aktien gegenüber dem Weltmarkt – ist seit Langem bekannt. Emotionalität, Informationsnähe und ein gewisses Misstrauen gegenüber fremden Märkten gelten dabei als klassische Erklärungen. Nun aber zeigt eine neue Studie des deutschen Fondsverbands BVI, dass dieser Effekt auch unter professionellen Anlegern überraschend stark ausgeprägt ist.
Selbst bei institutionellen Portfoliomanagern mit globalem Mandat ist eine deutliche Präferenz für den Heimatmarkt nachweisbar. Für die Initiatoren der Studie ist das nicht nur ein Befund zur Marktpsychologie, sondern auch ein politisches Signal: Mehr europäische Fondsmanager könnten langfristig zu mehr Investitionen in Europa führen – und damit die Kapitalmarkttiefe, Innovationskraft und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Kontinents stärken.
Die Studie: Strukturierte Daten – und ein vertrautes Muster
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Die vom BVI in Auftrag gegebene Analyse stützt sich auf eine breite Datenbasis, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Untersucht wurden Anlageentscheidungen institutioneller Fondsmanager, die in Deutschland, Frankreich, Italien und den nordischen Ländern domiziliert sind. Erfasst wurden sowohl Aktien- als auch Anleihenallokationen in aktiven und passiven Fonds, jeweils bezogen auf den geografischen Ursprung der Zielinvestments.
Das Ergebnis: Ein signifikanter Home Bias ist in fast allen analysierten Märkten festzustellen – unabhängig von Fondsgröße, Anlagestrategie oder Kundensegment. In Deutschland etwa machen heimische Aktien durchschnittlich 35 bis 40 Prozent der Portfoliogewichtung aus, obwohl deutsche Unternehmen global betrachtet nur rund 3 Prozent der Marktkapitalisierung stellen. Ähnliche Muster zeigen sich in Frankreich, Italien und Skandinavien – jeweils mit nationalen oder zumindest regionalen Übergewichtungen.
Der Befund überrascht, weil professionelle Manager über weitreichende Analysekapazitäten, diversifizierte Research-Zugänge und algorithmische Allokationssysteme verfügen. Der Reflex zur Heimatbindung bleibt dennoch bestehen – wenn auch in abgeschwächter Form gegenüber privaten Anlegern.
Gründe für den Home Bias – auch bei Profis
Die Ursachen für diesen Befund sind vielfältig. Neben klassisch emotionalen Faktoren wie Vertrautheit, Sprache, regulatorischer Nähe und Informationszugang spielen auch ganz rationale Überlegungen eine Rolle. In vielen Fällen ist der Home Bias Ergebnis von Kundenpräferenzen, steuerlichen Optimierungen oder aufsichtsrechtlichen Vorgaben.
Zudem darf nicht übersehen werden: Wer im Heimatmarkt aktiv ist, hat oft besseren Zugang zu Managementgesprächen, Branchenwissen und politischen Entwicklungen, was gerade bei fundamental orientierten Fondsmanagern den Ausschlag geben kann. Auch ESG-Daten, rechtliche Einschätzungen und makroökonomische Modelle lassen sich für den Heimatmarkt mit höherer Präzision kalibrieren.
Und schließlich ist der Kapitalmarkt selbst Teil des ökonomischen Umfelds: Investitionen in die Heimatregion können politisch opportun sein, wenn sie zugleich lokale Beschäftigung, Börsenliquidität oder Innovationsfinanzierung stärken.
BVI fordert mehr europäische Perspektive im Fondsmanagement
Heimatnähe im Portfoliomanagement ist nicht zwingend ein Fehler – solange sie kein Selbstzweck bleibt. In einem Europa, das wirtschaftlich unabhängiger und technologisch wettbewerbsfähiger sein will, könnte sie sogar Teil der Lösung sein – wenn sie strategisch genutzt und europäisch gedacht wird."
Aus Sicht des BVI ergibt sich aus den Studienergebnissen ein klarer Auftrag: Wenn ein spürbarer Home Bias bereits auf nationaler Ebene besteht, dann ließe sich durch die Stärkung eines gesamteuropäischen Fondsmarkts ein regionaler Kapitalimpuls setzen. Konkret fordert der Verband, dass mehr Fondsmandate innerhalb Europas vergeben werden, statt sich einseitig an US-amerikanische Vermögensverwalter oder globale Anbieter zu wenden.
Der Verband argumentiert, dass europäische Fondsmanager nicht nur lokales Know-how mitbringen, sondern auch tendenziell eher in europäische Unternehmen investieren – sofern regulatorische, steuerliche und vertriebliche Bedingungen dies zulassen.
Ziel müsse es daher sein, die europäische Fondsindustrie strategisch zu stärken, etwa durch:
- Förderung der grenzüberschreitenden Vertriebsfähigkeit europäischer Fonds.
- Harmonisierung von Aufsichtsstandards innerhalb der EU.
- gezielte Anreize zur Unterstützung junger, innovativer Fondsanbieter.
Der Home Bias könne – so die Argumentation – nicht nur als Schwäche gesehen werden, sondern auch als ökonomisches Potenzial, wenn er institutionell in eine gesamteuropäische Perspektive überführt wird.
Was das für Anleger bedeutet
Für institutionelle Anleger – etwa Stiftungen, Pensionskassen oder Versicherungen – stellt sich damit erneut die Frage nach der idealen geografischen Diversifikation. Ist der Home Bias ein Risikofaktor oder ein sinnvoller Anker in einem zunehmend unübersichtlichen globalen Marktumfeld?
Die Antwort fällt differenziert aus. In stabilen Phasen kann ein regionaler Fokus Vorteile bringen – etwa bei der Steuerung von Währungsrisiken, bei regulatorischer Transparenz oder der Nähe zur Unternehmensführung. In Krisen hingegen kann er zur Klumpenbildung führen, die Diversifikationseffekte zunichtemacht.
Wichtig ist daher nicht, den Home Bias per se zu vermeiden, sondern ihn bewusst zu steuern. Wer ihn erkennt und strategisch einbettet – etwa durch ergänzende Satelliteninvestments in unterrepräsentierten Märkten – kann ihn als Teil eines intelligenten Portfoliodesigns nutzen.
Fazit: Vertrautheit ist kein Fehler – aber eine Verantwortung
Die neue BVI-Studie zeigt, dass selbst institutionelle Anleger nicht frei sind von Mustern, die ursprünglich aus der Verhaltensökonomik bekannt sind. Der Home Bias ist auch in der Welt der professionellen Finanzarchitektur präsent – als psychologischer Reflex, aber auch als strukturelle Konsequenz.
Für den europäischen Kapitalmarkt ist das eine ambivalente Botschaft: Einerseits offenbart der Home Bias ein unausgeschöpftes regionales Investitionspotenzial, andererseits zeigt er, wie stark die Integration des europäischen Finanzraums noch voranschreiten muss.
Heimatnähe im Portfoliomanagement ist nicht zwingend ein Fehler – solange sie kein Selbstzweck bleibt. In einem Europa, das wirtschaftlich unabhängiger und technologisch wettbewerbsfähiger sein will, könnte sie sogar Teil der Lösung sein – wenn sie strategisch genutzt und europäisch gedacht wird.
Erst der Mensch, dann das Geschäft