Systematische Umverteilung? Löhne steigen zu langsam
In diesem Jahr steigen in Deutschland die Löhne um 2,7 Prozent. Das ist selbst der Bundesbank zu wenig. Die nicht gerade als Vertretung von Arbeitnehmerinteressen bekannte Institution hatte einen Zuwachs von drei Prozent gefordert. Niedrige Lohnsteigerungen verstärken den schon länger zu beobachtenden Trend der Umverteilung zu Lasten von Arbeitnehmern.
Lange galt die Faustregel, dass die Löhne dem Produktivitätszuwachs der Wirtschaft folgen sollten, um ein ausbalanciertes Wachstum zu gewährleisten. Die Orientierung am Produktivitätszuwachs sollte auf der einen Seite garantieren, dass die Unternehmen bei den Kosten nicht übermäßig belastet würden, andererseits sollte erreicht werden, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer und damit die Nachfrage nach Konsumgütern stetig zunahm.
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Viele Gründe für Umverteilung
Die tatsächliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat sich von dieser Faustregel allerdings deutlich entfernt - nicht nur in Deutschland. Lag der Anteil der Arbeitnehmerverdienste an der jährlichen Wirtschaftsleistung in den führenden Industrienationen Anfang der 1970er Jahre noch bei 70 Prozent, ist er mittlerweile auf nur noch 64 Prozent gesunken. Darin kommt eine bemerkenswerte Umverteilung zugunsten des Kapitals und zu Lasten der Arbeit zum Ausdruck. Dafür gibt es gleich mehrere Ursachen:
- ein wichtiger Faktor ist die Globalisierung. Mit der Öffnung von Märkten und dem Wegfall von Handelsschranken war es für viele Unternehmen kostengünstiger, in Ländern zu produzieren, wo die Löhne niedriger sind. Das Ende des Eisernen Vorhangs und der chinesische Aufbruch trugen das ihre zu diesem Trend bei. Die billige Arbeitskräfte-Konkurrenz drückte zwangsläufig auf die Entwicklung der Löhne in den Industrieländern;
- ebenfalls lohndrückend wirkt der rasante technische Fortschritt, der mit einer zunehmenden Automatisierung und Ersetzung von Menschen durch Roboter und Maschinen einhergeht. Die dadurch bewirkte geringere Nachfrage nach Arbeit bremst die Lohnzuwächse;
- ein weiteres Moment ist auch die liberale Wirtschaftspolitik, die viele Regierungen in den Industrieländern in den 1980er und 1990er Jahren verfolgten, um die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaften zu verbessern. Damals wurden manche Arbeitnehmerrechte abgebaut;
- last but not least hat auch der sinkende Einfluss der Gewerkschaften die Entwicklung befördert. Ihr Organisationsgrad hat deutlich nachgelassen - nicht zuletzt eine Folge überzogener Forderungen in früheren Jahren und eines Vertrauensverlustes innerhalb des eigenen Klientels.
Die schwächere Marktmacht der Gewerkschaften ist nach Ansicht von Experten eine der Hauptursachen für die zu beobachtende Umverteilung.
Es ist Zeit, gegenzusteuern."
Handeln ist notwendig
Es ist Zeit, gegenzusteuern. Denn wenn sich der Trend zur Umverteilung zum Nachteil der Arbeitnehmer fortsetzt, bedroht dies auf lange Sicht die wirtschaftliche Prosperität und die soziale Stabilität. Auch Unternehmen können sich dies in ihrem eigenen Interesse nicht wünschen.