Dass der Mensch nicht ausschließlich der Ratio folgt, ist nicht neu

Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther Menschen sind nicht rational

Gerald Hüther ist anerkannter Forscher und Verfasser von populärwissenschaftlichen Bestsellern im Bereich Neurobiologie und Hirnforschung. Dabei befasst er sich auch mit Themen, die man nicht unbedingt vermuten würde - zum Beispiel mit dem Anlegerverhalten oder der Sinnhaftigkeit von Finanzberatung.

Doch das ist konsequent. Die moderne Finanztheorie hat sich schon länger ein Stück weit von der klassischen Modellwelt verabschiedet, die den Menschen idealtypisch als rational und am Prinzip der Nutzenmaximierung orientiert unterstellt. Heute wird versucht, die unterschiedlichen Facetten menschlichen Wesens bei wissenschaftlichen Erklärungsansätzen einzubeziehen.

Die Macht der Gefühle und der Erfahrung

Dass der Mensch nicht ausschließlich der Ratio folgt, ist nicht neu. Seit jeher spielen Emotionen und Erfahrungen eine mindestens ebenso große Rolle. Häufig wirken tief verankerte Urinstinkte stärker als die Vernunft. Die Hirnforschung macht es inzwischen besser möglich, Prozesse im Gehirn nachzuvollziehen und zu verstehen, die zu bestimmten Verhaltensweisen führen. Das gilt auch mit Blick auf Finanzen. 

Häufig wirken tief verankerte Urinstinkte stärker als die Vernunft."

Einige plastische Beispiele

Gerald Hüther zeigt dies in einem Interview anhand einiger plastischer Beispiele, die manchen scheinbaren Widerspruch erklären. Hier eine kleine Auswahl: 

  • Thema Altersvorsorge: Jeder weiß um die Bedeutung der privaten Altersvorsorge, doch die Deutschen sparen weniger dafür. Hüther führt das darauf zurück, dass das Thema "Alter" meist negativ besetzt sei. Geld werde aber nur für Zwecke zurückgelegt, die attraktiver erscheinen als der Konsum heute. 
  • 59 Prozent der Deutschen streben finanzielle Sicherheit an, aber nur 31 Prozent interessieren sich für sichere Geldanlagen: für den Forscher kein Widerspruch. Viele Anleger hätten in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit vermeintlich sicheren Anlagen gemacht. Wenn heute ein Produkt mit diesem Adjektiv empfohlen werde, fehle vielfach der Glaube daran. 
  • Börsenzocken mit Suchtgefahr: Wer intensiv nach Geldvermehrung an der Börse strebe, sei vordergründig auf der Jagd nach materiellem Erfolg. Tatsächlich ziele er aber auf Glücksgefühle, die durch entsprechende Botenstoffe im Gehirn bewirkt werden - oft eine Kompensation für Defizite in anderen Bereichen. Wenn das Börsenspiel zu lange und heftig betrieben werde, bestehe die Gefahr der Abhängigkeit - wie bei anderen Suchtstoffen.
  • typische Anlegerfehler: Sie sind nach Ansicht von Hüther die Konsequenz von Erfahrungen. Wenn etwas im Leben schlecht laufe, versuche man, sich davon zu trennen. Wenn etwas gut laufe, wolle man dranbleiben. Was sonst funktioniere, sei aber an der Börse kontraproduktiv. 
  • Finanzberatung hilft oft nicht: Diese überraschende Feststellung begründet der Professor so: Die Beratung appelliere an den Verstand, Anleger könnten aber im realen Handeln nicht gegen die Macht ihrer Erfahrungen ankommen. Hier können nur erfahrene Berater helfen, die durch erworbenes Vertrauen diese Emotionen auffangen.

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