ESG verliert an Strahlkraft

Morningstar sieht Kapitalabflüsse auf Rekordniveau Nachhaltige Fonds unter Druck

Lange Zeit galten nachhaltige Geldanlagen als Megatrend. Umweltfreundlich, sozial verantwortlich und mit gutem Gewissen investiert – so lautete das Versprechen vieler Fondsanbieter, das bei Anlegern weltweit auf offene Ohren traf.

Doch aktuell zeigt sich eine Trendwende, die das ESG-Segment aufrüttelt: Laut einer umfassenden Analyse des Finanzdatenanbieters Morningstar haben nachhaltige Fonds seit Jahresbeginn so viele Mittelabflüsse verzeichnet wie nie zuvor. Besonders überraschend ist, dass auch in Europa – bislang als globaler Vorreiter beim nachhaltigen Investieren betrachtet – erstmals ein negativer Saldo zu beobachten ist.


Europa kippt ins Minus: Ein beunruhigendes Signal

Während in den USA bereits seit einiger Zeit politische Debatten rund um „woke investing“ und ESG-Regularien für Unsicherheit sorgten, hielten europäische Investoren lange Kurs. Hier waren es gerade institutionelle Anleger, Stiftungen und Versorgungswerke, die mit ambitionierten Nachhaltigkeitsstrategien vorangingen.

Doch Morningstar verzeichnet nun auch in Europa Nettoabflüsse – ein Bruch mit dem bisherigen Wachstumspfad. Gründe dafür sind unter anderem:

  • Zunehmende Skepsis gegenüber ESG-Versprechen: Anleger fragen sich, wie „grün“ nachhaltige Fonds tatsächlich sind. Fälle von Greenwashing und mangelnde Transparenz haben das Vertrauen erschüttert.
  • Schwache Performance vieler ESG-Fonds im Vergleich zu klassischen Produkten – vor allem in einem Umfeld, in dem Energietitel (z. B. Öl- und Gasunternehmen) stark zulegen konnten.
  • Politische und regulatorische Unsicherheit, etwa durch widersprüchliche EU-Vorgaben bei der Taxonomie und SFDR-Klassifizierung.
  • Verschiebung der Prioritäten: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten rückt bei vielen Anlegern wieder stärker die reine Rendite in den Fokus.

Die Abflüsse betreffen vor allem Aktienfonds mit nachhaltiger Ausrichtung, während Mischfonds oder Themenfonds (z. B. Klimawandel, Wasser, soziale Innovation) in Einzelfällen noch Zuflüsse verzeichnen.


Globale Entwicklung: ESG verliert an Strahlkraft

Der Trend beschränkt sich nicht auf Europa. Weltweit zogen Anleger im ersten Quartal Milliardenbeträge aus nachhaltigen Fonds ab. Besonders deutlich war der Rückzug in den USA, wo ESG-Anlagen zunehmend politisiert werden. Republikanische Bundesstaaten haben teils Gesetze erlassen, die es Pensionsfonds verbieten, ESG-Kriterien bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen.

Auch in Asien sind die ESG-Zuflüsse rückläufig – unter anderem wegen einer strikteren Auslegung von Nachhaltigkeitsdefinitionen und der Sorge, durch zu enge Kriterien potenzielle Wachstumschancen zu verpassen.

Morningstar spricht daher von einer Phase der Ernüchterung: Der ESG-Boom der vergangenen Jahre war stark durch Marketing, Hoffnung und Regulierung getrieben – nun stoßen diese Faktoren an ihre Grenzen.


Was das für Anleger und Anbieter bedeutet

Ob nachhaltige Geldanlagen sich dauerhaft durchsetzen, hängt nun davon ab, ob die Branche aus der Korrekturphase lernt und es schafft, Nachhaltigkeit glaubhaft mit wirtschaftlichem Erfolg zu verbinden. Andernfalls droht der ESG-Gedanke, der einst als Zukunftsversprechen galt, zu einem Nischenthema zu verkommen. Noch ist es nicht zu spät – aber der Vertrauensvorschuss ist aufgebraucht."

Für Anleger stellen sich nun wichtige strategische Fragen:

  • Bleibe ich aus Überzeugung nachhaltig investiert, auch wenn die Performance vorübergehend schwächer ist?
  • Vertraue ich auf eine langfristige Umstellung der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit – oder fokussiere ich mich wieder stärker auf traditionelle Anlagen?
  • Wie wähle ich Fonds, die tatsächlich wirkungsvoll und transparent mit ESG-Kriterien arbeiten?

Für Anbieter nachhaltiger Produkte ist die Botschaft klar: Es braucht mehr Glaubwürdigkeit, bessere Kommunikation und nachvollziehbare Wirkungsmessung. Wer sich jetzt nicht klar positioniert und langfristig überprüfbare Ziele formuliert, riskiert den Vertrauensverlust der Investoren – und damit auch den eigenen Marktzugang.


Fazit: ESG steht an einem Scheideweg

Die Rekordabflüsse aus nachhaltigen Fonds zeigen: ESG ist kein Selbstläufer mehr. Der Markt ist anspruchsvoller, kritischer und selektiver geworden. Anleger erwarten mehr als Schlagworte und grüne Etiketten – sie fordern Transparenz, Performance und eine messbare Wirkung.

Ob nachhaltige Geldanlagen sich dauerhaft durchsetzen, hängt nun davon ab, ob die Branche aus der Korrekturphase lernt und es schafft, Nachhaltigkeit glaubhaft mit wirtschaftlichem Erfolg zu verbinden. Andernfalls droht der ESG-Gedanke, der einst als Zukunftsversprechen galt, zu einem Nischenthema zu verkommen. Noch ist es nicht zu spät – aber der Vertrauensvorschuss ist aufgebraucht.

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