Finanzlexikon Nichtveranlagungsbescheinigung
In der deutschen Einkommensbesteuerung gilt grundsätzlich das Prinzip der universellen Steuerpflicht: Jeder steuerpflichtige Bürger hat sämtliche Einkünfte anzugeben, und diese werden nach einem progressiven Tarif besteuert. Seit der Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 ist die Besteuerung von Kapitalerträgen in Form einer pauschalen Quellensteuer organisiert – meist 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer.
Doch dieses System hat eine Besonderheit: Es berücksichtigt zunächst nicht die persönliche Einkommenssituation des Steuerpflichtigen. Wer auch nur geringe Kapitalerträge hat, zahlt die Abgeltungsteuer – selbst dann, wenn er unterhalb des steuerlichen Grundfreibetrags liegt und nach Einreichung einer Einkommensteuererklärung eigentlich keine Steuerschuld hätte.
Um diese Ungerechtigkeit im Vorfeld zu vermeiden, gibt es die Nichtveranlagungsbescheinigung (NV-Bescheinigung). Sie erlaubt bestimmten Personen mit sehr geringem zu versteuernden Einkommen, Kapitalerträge steuerfrei zu vereinnahmen, ohne eine Einkommensteuererklärung einreichen zu müssen. Damit wird ein unnötiger bürokratischer Umweg verhindert – im Sinne der Steuervereinfachung und Gerechtigkeit.
Wesen und Zweck der NV-Bescheinigung
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Die NV-Bescheinigung ist eine schriftliche Erklärung des Finanzamts, dass für eine bestimmte Person keine Verpflichtung zur Einkommensteuerveranlagung besteht, weil ihr voraussichtliches zu versteuerndes Einkommen unterhalb der gesetzlichen Grenze liegt.
Diese Grenze entspricht dem Grundfreibetrag nach § 32a EStG, der jährlich angepasst wird (Stand 2025: 11.604 Euro für Ledige, 23.208 Euro für Verheiratete). Wird dieser Betrag voraussichtlich nicht überschritten – auch unter Einbeziehung der Kapitalerträge – kann eine NV-Bescheinigung beantragt werden.
Zielgruppe der NV-Bescheinigung sind in erster Linie:
- Rentner und Pensionäre mit geringen Einkünften.
- Studierende mit kleinen Nebenjobs oder geringem Vermögen.
- Minderjährige mit Sparkonten oder Ausbildungsversicherung.
- Arbeitslose, die Kapitalerträge aus Erspartem erzielen.
- Alle sonstigen Personen mit Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags,
Mit einer gültigen NV-Bescheinigung ist es möglich, Kapitalerträge brutto – also ohne Steuerabzug – zu vereinnahmen. Banken und andere Finanzinstitute sind gesetzlich verpflichtet, bei Vorlage dieses Dokuments keine Abgeltungsteuer einzubehalten.
Beantragung und Gültigkeit
Die NV-Bescheinigung muss aktiv beim zuständigen Finanzamt beantragt werden. Dafür ist das amtliche Formular „Antrag auf Ausstellung einer Nichtveranlagungsbescheinigung“ zu verwenden. Es kann in Papierform oder in vielen Fällen auch elektronisch über das ELSTER-Portal eingereicht werden.
Dem Antrag sind Angaben zur persönlichen Einkommenssituation beizufügen – insbesondere zu Renten, sonstigen Einnahmen und voraussichtlichen Kapitalerträgen. In der Praxis verlangt das Finanzamt meist die Vorlage von:
- Rentenbezugsmitteilungen oder Rentenbescheiden.
- Nachweisen über sonstige Einkünfte (z. B. Mieteinnahmen).
- Aufstellungen über erwartete Kapitalerträge (Zins- und Dividendenbescheinigungen).
Wird der Antrag bewilligt, stellt das Finanzamt eine zeitlich befristete NV-Bescheinigung aus – in der Regel für drei Jahre. Nach Ablauf der Gültigkeit ist ein neuer Antrag notwendig.
Wichtig: Die NV-Bescheinigung muss im Original bei jeder Bank eingereicht werden, bei der Kapitalerträge anfallen. Sie ist nicht digital abrufbar oder zentral bei der Bundesfinanzverwaltung hinterlegt.
Abgrenzung zum Freistellungsauftrag
Die Nichtveranlagungsbescheinigung ist ein praktisches Werkzeug zur Entlastung einkommensschwacher Anleger von bürokratischem Aufwand und unnötiger Steuerlast. Sie vermeidet Überzahlungen, Rückforderungen und aufwendige Steuererklärungen – und ermöglicht es Menschen mit geringem Einkommen, ihre Ersparnisse effektiv zu nutzen, ohne steuerlich benachteiligt zu werden."
Häufig wird die NV-Bescheinigung mit dem Freistellungsauftrag verwechselt. Beide Instrumente dienen zwar der Steuervermeidung auf Kapitalerträge, haben aber unterschiedliche Voraussetzungen und Wirkungen.
Ein Freistellungsauftrag ermöglicht es, bis zu einem bestimmten Betrag (aktuell 1.000 Euro für Alleinstehende, 2.000 Euro für Verheiratete) Kapitalerträge steuerfrei zu stellen. Er richtet sich an alle Steuerpflichtigen, unabhängig vom Gesamteinkommen. Sobald dieser Betrag überschritten wird, greift die Abgeltungsteuer automatisch.
Die NV-Bescheinigung hingegen erlaubt eine vollständige Steuerfreistellung sämtlicher Kapitalerträge – unabhängig von deren Höhe –, sofern das gesamte zu versteuernde Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags bleibt. Sie ersetzt damit nicht den Freistellungsauftrag, sondern ist ihm in bestimmten Fällen überlegen, weil sie keine Betragsgrenze kennt.
Missbrauchsschutz und Pflichten
Die NV-Bescheinigung ist ein wirkungsvolles, aber sensitives Steuerinstrument. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber strenge Missbrauchsschutzregeln vorgesehen. Dazu gehört insbesondere:
- Die Finanzinstitute müssen die Bescheinigung im Original vorliegen haben.
- Bei jeder Änderung der Einkommensverhältnisse ist das Finanzamt unverzüglich zu informieren.
- Wird festgestellt, dass die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, muss die Bescheinigung zurückgegeben werden.
- Ein Missbrauch kann steuerliche Nachforderungen und Bußgelder nach sich ziehen.
Auch Banken haben Prüfpflichten. So ist die steuerfreie Ausschüttung von Kapitalerträgen bei Vorlage einer NV-Bescheinigung nur dann erlaubt, wenn das Dokument zeitlich gültig und formal korrekt ist.
Fazit: Steuererleichterung mit Augenmaß
Die Nichtveranlagungsbescheinigung ist ein praktisches Werkzeug zur Entlastung einkommensschwacher Anleger von bürokratischem Aufwand und unnötiger Steuerlast. Sie vermeidet Überzahlungen, Rückforderungen und aufwendige Steuererklärungen – und ermöglicht es Menschen mit geringem Einkommen, ihre Ersparnisse effektiv zu nutzen, ohne steuerlich benachteiligt zu werden.
Allerdings erfordert die NV-Bescheinigung auch Sorgfalt, Transparenz und laufende Prüfung. Sie ist kein pauschales Privileg, sondern eine konkret begründete Ausnahme vom Regelfall der Abgeltungsteuer. Wer sie richtig einsetzt, spart nicht nur Geld, sondern auch Zeit – und sorgt für eine faire Besteuerung im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips.

fair, ehrlich, authentisch - die Grundlage für das Wohl aller Beteiligten