Expertenstreit Problem Sparschwemme
Die Zinsen befinden sich auf historisch niedrigem Niveau. Viele machen dafür die Geldpolitik der Notenbanken verantwortlich, die seit Jahren ihre Volkswirtschaften mit billigem Geld überschwemmen und so die Zinsen künstlich niedrig halten. Andere sehen eher längerfristige Einflüsse am Werk, die zu überproportional hohem Sparen mit sinkenden Zinsen führen.
Wer hat nun Recht? Darüber hat sich ein wissenschaftlicher Streit entwickelt. Die Anhänger der Sparschwemmen-Theorie - "es wird zu viel gespart" - stehen dabei den Verfechtern der Geldschwemmen-Theorie - "Die Notenbanken pumpen zu viel Geld in die Märkte" - gegenüber. Die "richtige" Antwort entscheidet auch darüber, welche Richtung die Geldpolitik künftig einschlagen sollte und ob sie überhaupt als Steuerungsinstrument geeignet ist.
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Sparschwemme versus Geldschwemme
Für die Sparschwemmen-Theoretiker spielt der "natürliche Zins" eine zentrale Rolle. Das ist der Zins, der sich langfristig als Geld-Gleichgewichtspreis unabhängig von Notenbankeinflüssen ergibt. Dieser Zins ist bereits seit 35 Jahren rückläufig, so die Sparschwemmen-Verfechter, weil mehr Geld gespart als nachgefragt werde. Als Gründe werden genannt: Überalterung der Industriegesellschaften - ältere Menschen sparen wegen der Altersvorsorge mehr -, verlangsamter technischer Fortschritt, nachlassende Wachstumsdynamik und geringere Investitionsneigung. Die Geldpolitik ist in diesem Theoriegebäude von nachrangiger Bedeutung. Als Theorie-Erfinder gilt der ehemalige US-Notenbankchef Ben Bernanke, er hat viele Anhänger gefunden.
Für die Sparschwemmen-Theoretiker spielt der "natürliche Zins" eine zentrale Rolle."
Auf der anderen Seite stehen die Geldschwemmen-Theoretiker. Danach wird der "natürliche Zins" mit billigem Geld von den Notenbanken nach unten manipuliert. Die Erklärung ist einfach: mit lockerer Geldpolitik findet auf der Geldangebotsseite eine massive Ausweitung statt, die bei unveränderter oder wenig veränderter Geldnachfrage zwangsläufig zu sinkenden Zinsen führen muss. Dieser Effekt kann längerfristig wirken und muss auch nicht mit höherer Inflation verbunden sein - nämlich dann nicht, wenn das zusätzliche Geld als Liquidität gehalten wird anstatt es anzulegen. Die erhoffte Wirkung der lockeren Geldpolitik - Wachstumsstimulierung - bleibt dann allerdings weitgehend aus.
Mehr Staatsschulden oder weniger billiges Geld?
Beide Seiten versuchen, ihre Theorien empirisch zu belegen. Ein Beweis im naturwissenschaftlichen Sinne ist nicht möglich. Vielleicht haben sogar beide recht. Die Konsequenzen sind auf jeden Fall höchst unterschiedlich. Bei Sparschwemme könnten im Sinne von Keynes - schuldenfinanzierte - staatliche Investitionen wieder für mehr Wachstum und höhere Zinsen sorgen. Bei Geldschwemme wäre ein Stopp der wirkungslosen Geldflut angezeigt und würde zur Normalisierung des Zinsniveaus beitragen.
Autor: Jürgen E. Nentwig, juergen.nentwig@gfmsnentwig.de