Die Mitgliederbasis der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken schrumpft

Erosion im Fundament des Genossenschaftsmodells Suche nach Genossen

Was jahrzehntelang als stabile Grundlage galt, beginnt zu bröckeln: Die Mitgliederbasis der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken schrumpft – und das in einem Ausmaß, das viele Beobachter alarmiert. Seit dem Jahr 2019 haben die Genossenschaftsbanken knapp 900.000 Mitglieder verloren.

Was zunächst wie eine bloße statistische Schwankung erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als schleichender, aber tiefgreifender Strukturwandel. Die Genossenschaftsidee, einst das Herzstück des Bankwesens in ländlichen Räumen und regionalen Wirtschaftskreisen, droht an Strahlkraft zu verlieren.

Für eine Bankenstruktur, die sich nicht primär über Kapitaleigner, sondern über Gemeinschaft und Mitbestimmung legitimiert, stellt dieser Trend mehr dar als nur eine Marketingherausforderung. Er berührt das Selbstverständnis und die Legitimation eines gesamten Systems. Mehr noch: Er könnte sich in absehbarer Zeit zu einem existenziellen Problem auswachsen, wenn die Schere zwischen wirtschaftlicher Relevanz und gesellschaftlicher Verankerung weiter auseinandergeht.

Genossenschaftsbank – ein Auslaufmodell?

Die Grundidee der Genossenschaftsbank ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Menschen schließen sich freiwillig zusammen, zahlen einen Anteil ein, werden Mitglieder – und gestalten gemeinsam die Geschicke ihrer Bank mit. Jeder Genosse, unabhängig von der Höhe seines Anteils, hat genau eine Stimme. Dieses demokratische Prinzip war lange Zeit ein Erfolgsmodell, gerade in strukturschwachen Regionen, wo klassische Großbanken selten präsent waren.

Doch das Modell, das im 19. Jahrhundert entstand und im 20. Jahrhundert zur Bankengrundversorgung beitrug, steht nun vor ganz anderen Herausforderungen. Junge Menschen empfinden die Mitgliedschaft häufig als wenig greifbar, zu abstrakt oder schlichtweg irrelevant. Die Mitbestimmung, die auf dem Papier versprochen wird, findet im Alltag kaum statt. Stattdessen erleben viele Mitglieder die Bank wie jede andere – als Dienstleister, nicht als Gemeinschaft.

Zudem ist der ursprüngliche Anreiz, durch Mitgliedschaft an Gewinnen beteiligt zu werden oder Kreditkonditionen zu verbessern, in Zeiten von Niedrigzinsen, regulatorischem Druck und verschärfter Wettbewerbslage kaum noch spürbar.

Wer sind die Abwanderer – und warum gehen sie?

Die Mitgliederverluste der Volksbanken lassen sich nicht allein durch demografischen Wandel erklären, obwohl dieser eine Rolle spielt. Tatsächlich sterben viele langjährige Mitglieder schlichtweg weg – eine Folge des hohen Durchschnittsalters der Genossenschaftsbasis. Doch entscheidender ist, dass zu wenige neue Mitglieder nachrücken.

Junge Erwachsene, die ihre ersten Bankgeschäfte online tätigen oder bei digitalen Neobanken, werden kaum noch angesprochen von der Idee der lokalen Mitverantwortung. Das Wort „Genosse“ klingt für viele fremd, bürokratisch oder gar ideologisch aufgeladen. Der Gedanke, durch den Besitz eines Genossenschaftsanteils Mitbesitzer einer Bank zu sein, löst kaum noch Identifikation aus – und noch seltener Begeisterung.

Ein weiterer Grund für die Schrumpfung: Fusionen. Viele kleine Volksbanken schließen sich zusammen, um Kosten zu sparen und regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Dabei wird oft die Mitgliederzahl bereinigt – etwa wenn inaktive oder doppelte Mitgliedschaften identifiziert und aufgelöst werden. Der statistische Rückgang ist also auch eine Folge von Konsolidierung, spiegelt aber dennoch eine reale Entwicklung wider.

Die Folgen für das Geschäftsmodell

Was passiert, wenn einer Genossenschaftsbank ihre Genossen ausgehen? Zunächst: Die Bank kann weiterarbeiten, Kredite vergeben, Geld anlegen, Konten führen. Doch mittel- bis langfristig verliert sie ihre Basis – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Denn mit jedem Mitglied, das geht, schwindet auch ein Teil des Eigenkapitals. Zwar ist der finanzielle Beitrag pro Genosse gering, doch in der Summe sind die Anteile ein relevanter Baustein für die Kapitalstruktur.

Darüber hinaus verliert die Bank an Legitimation: Wer sich als „Bank der Region“ versteht, aber von der Region kaum noch als eigene Institution wahrgenommen wird, hat ein Problem. Die Flucht in digitale Services, Zentralisierung und Effizienzprogramme mag betriebswirtschaftlich geboten sein – sie steht aber im Widerspruch zum Anspruch auf Nähe, Transparenz und demokratische Teilhabe.

Nicht zuletzt erschwert die sinkende Mitgliederzahl auch die Rekrutierung von Nachwuchs – in Kundenbeziehungen ebenso wie in der Gremienarbeit. Wer keine emotionale Bindung zur Bank aufbaut, wird sich auch kaum bereit erklären, Verantwortung zu übernehmen – etwa im Aufsichtsrat oder bei Vertreterversammlungen.

Der mühsame Kampf um neue Genossen

Der Mitgliederschwund der Volksbanken ist mehr als ein Nebenaspekt der Digitalisierung – er ist ein Symptom einer Identitätskrise. Die Genossenschaftsidee, einst ein soziales Bollwerk gegen Marktversagen und Monopolisierung, droht zur bloßen Strukturform zu verkommen."

Die Volksbanken sind sich der Problematik bewusst – und bemühen sich, gegenzusteuern. In internen Strategiepapieren ist häufig von „Mitgliederbindung“ und „Genossenschaftsmodernisierung“ die Rede. Es werden neue Produkte für Mitglieder aufgelegt, exklusive Veranstaltungen organisiert oder digitale Beteiligungsformate erprobt.

Doch der Erfolg bleibt überschaubar. Viele der Maßnahmen wirken wie Symptome einer Unsicherheit darüber, was die Mitgliedschaft heute eigentlich leisten soll. Ist sie ein Instrument zur Kapitalbeschaffung? Ein Marketinglabel? Ein kultureller Auftrag? Oder alles zugleich?

Einige Häuser experimentieren mit neuen Zielgruppenansprachen, etwa über Nachhaltigkeitsthemen, regionale Förderprojekte oder Beteiligungsmodelle für Start-ups. Doch der Durchbruch ist bislang ausgeblieben. Auch weil die strukturellen Herausforderungen tiefgreifender sind: Das Genossenschaftsmodell muss sich nicht nur modernisieren, sondern neu erklären.

Fazit: Rettung nur durch Relevanz

Der Mitgliederschwund der Volksbanken ist mehr als ein Nebenaspekt der Digitalisierung – er ist ein Symptom einer Identitätskrise. Die Genossenschaftsidee, einst ein soziales Bollwerk gegen Marktversagen und Monopolisierung, droht zur bloßen Strukturform zu verkommen.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es mehr als Rabatte, Imagekampagnen oder Online-Portale. Es braucht eine ernsthafte Debatte über den Wert von Mitbestimmung in einer zunehmend entpersonalisierten Finanzwelt. Nur wenn es gelingt, die Idee der genossenschaftlichen Verantwortung in die Sprache und Lebenswelt der heutigen Kundschaft zu übersetzen, besteht Hoffnung auf Erneuerung.

Die Frage ist nicht mehr, ob die Volksbanken neue Genossen brauchen. Die Frage ist, ob sie es schaffen, den Begriff wieder mit Leben zu füllen – bevor das Fundament ihrer Identität endgültig erodiert.

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