Kapitalismuskritik Anstand, Treu und Glauben
"Oeconomicae et pecuniariae quaestiones" - unter diesem Titel hat die vatikanische Glaubenskongregation aktuell ein Papier herausgegeben, in dem äußerst kritisch zu einigen Erscheinungsformen des modernen Kapitalismus - insbesondere in der Finanzwelt - Stellung genommen wird.
Es geht um mehr als um die Erörterung einiger ökonomischer und pekuniärer Fragen - so die deutsche Übersetzung. Das Bulletin stellt eine Abrechnung mit dem herrschenden System der Geldwirtschaft dar. Es ist auch nicht nur die Überlegung einiger Glaubenswächter im dafür zuständigen "Vatikan-Ministerium". Vielmehr werden Gedanken von Papst Franziskus selbst weitergeführt, die dieser bereits an früherer Stelle geäußert hatte, und die Veröffentlichung ist mit seinem Segen erfolgt.
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Chance zur kritischen Aufarbeitung der Finanzkrise verpasst
Die Finanzmärkte seien von Egoismus und Gier beherrscht, so einer der zentralen Vorwürfe des Papiers, dabei sei es Aufgabe des Geldes "zu dienen, nicht zu regieren". Missbräuche und Egoismen hätten in der Finanzwelt ein zerstörerisches Potential ohne Beispiel entwickelt. Besonders kritisch wird die Rolle von Derivaten beleuchtet. Sie seien mit einer Zeitbombe vergleichbar, die irgendwann explodiere und dann die Märkte vergifte. Bereits in der Vergangenheit hätten Derivate zu Blasen geführt. Die Finanzkrise 2007/2008 sei wesentlich auf ihren unheilvollen Einfluss zurückzuführen gewesen.
Mit der Aufarbeitung der Finanzkrise sind die Autoren ebenfalls alles andere als zufrieden. Eigentlich sei die Krise damals eine Chance für die Finanzindustrie gewesen, die eigenen Praktiken selbstkritisch zu hinterfragen und Finanzgeschäfte endlich ethischen Regeln zu unterwerfen, um künftig Ausbeutung und Spekulation zu verhindern. Aber diese Chance habe man nicht genutzt. Im Gegenteil - man müsse den Eindruck gewinnen, dass der Egoismus in voller Stärke zurückgekehrt sei. Egoistisches Handeln sei aber kurzsichtig und oberflächlich. Es missachte das Gemeinwohl und sei an allgemeinem Wohlstand ebenso wenig interessiert wie an der Beseitigung von Ungerechtigkeiten.
Egoistisches Handeln ist kurzsichtig und oberflächlich. Es missachte das Gemeinwohl."
Der Wohlstand der Menschheit steht auf dem Spiel
Wenn es nicht zu einem grundlegenden Umdenken in Richtung zu mehr Anstand, Fairness, Treu und Glauben komme, drohten verheerende Konsequenzen, warnt das Papier.
Egoismus werde sich auf Dauer nicht auszahlen und letztlich müsse für die Folgen von allen ein viel zu hoher Preis gezahlt werden. Der Wohlstand der gesamten Menschheit stehe auf dem Spiel.
Ob das die Finanzwelt beeindruckt? Man darf auf Reaktionen gespannt sein.