Openbank und Konsumentenkredite: Santander strafft ihre Strukturen
Fusion ist der Versuch, ein modulares Retail-Betriebssystem zu bauen, das günstige Einlagen mit skalierbarer Kreditproduktion verbindet – schnell, auditierbar, wiederholbar.
Die Banco Santander strafft ihre Strukturen. Herzstück ist die Zusammenführung der Digitaltochter Openbank mit der Sparte für Konsumentenkredite zu einer neuen Bankeinheit. Als Pilotland dient Deutschland – ein Markt, der wegen seiner Größe, seiner vergleichsweise niedrigen Margen und seiner digitalen Affinität als realistischer Härtetest gilt. Hinter der Entscheidung steckt mehr als ein Kostensparprogramm: Es geht um Skalierung, einheitliche Technologie, günstige Refinanzierung und die Fähigkeit, Produkte schnell plattformübergreifend auszurollen – vom Girokonto bis zum point-of-sale-Kredit.
Das strategische Ziel: Ein Operating System für Retail-Banking
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Santander folgt einer einfachen Logik:
Ein digitaler Vertriebskanal (Openbank) und eine Kreditfabrik (Konsumentenkredite) auf getrennten Plattformen erzeugen doppelte Kosten, doppelte Governance und träge Produktzyklen.
Die neue Einheit soll diese Redundanzen beseitigen. Kernideen:
- Ein Technologie-Stack: Eine einzige Identität, ein Datenmodell, ein Kernbanksystem – weniger Schnittstellen heißt weniger Fehler, weniger Wartung und schnellere Releases.
- Gemeinsame Produktfabrik: Konto, Karte, Raten- und Abrufkredit, Depot und Versicherungszusatz werden aus einem Baukasten konfiguriert und über unterschiedliche Oberflächen (App, Partner, Händlerkasse) ausgespielt.
- Skalierbare Refinanzierung: Einlagen der Direktbank refinanzieren das klassische Konsumentenkreditgeschäft günstig; die bisherige Abhängigkeit von Kapitalmarktmitteln sinkt.
Das Ergebnis soll ein leistungsfähiger, kostenarmer Retail-Motor sein, der in Deutschland erprobt und anschließend in andere Länder übertragen wird.
Warum Deutschland der richtige – und schwierige – Test ist
Deutschland ist ein paradoxes Terrain: extrem wettbewerbsintensiv, mit hoher Digitalnutzung, aber preissensitiven Kunden. Direktbanken (ING, DKB, Consors), Fintechs (N26, Kontist), Autobanken und Handelsfinanzierer haben das Publikum an schnelle, günstige Services gewöhnt. Wer hier besteht, hat ein Modell, das auch in Märkten mit höheren Margen funktioniert. Zugleich ist die Regulierung anspruchsvoll, die Privatsphäreerwartung hoch, und die Kreditkultur konservativ. Genau diese Mischung macht Deutschland zum idealen Proof of Execution.
Der Kostencase: Von Doppelstrukturen zu Durchsatz
Das Sparpotenzial liegt weniger in großen Personalwellen als in Architekturentscheidungen. Drei Beispiele:
- Onboarding & KYC aus einem Guss: Ein Identifizierungsflow statt zweier „fast gleicher“ Prozesse reduziert Abbruchquoten, Supportaufwand und Bußgeldrisiken.
- Risikomodellierung: Ein konsistentes Scoring über Karte, Dispo, Raten- und Händlerkredit verhindert widersprüchliche Kreditentscheidungen und senkt Ausfallkosten.
- Betrieb & Compliance: Gemeinsame Datendrehscheiben für Meldewesen, Sanktionslisten, Betrugsprävention. Weniger Redundanz senkt Fixkosten und beschleunigt Audits.
Kurz: Skalenerträge entstehen nicht nur bei Kundenzahlen, sondern in der Komplexitätsreduktion.
Wachstumslogik: Vom Konto zur Kasse – und zurück
Die verschmolzene Einheit kann zwei Flüsse miteinander koppeln: direktes Retailgeschäft (Giro, Karte, Tagesgeld, Wertpapier) und Point-of-Sale-Finanzierung (Ratenkauf, Karte am POS, Händlerkredit). Wer den Kunden an der Kasse gewinnt, kann ihm später ein vollwertiges Konto und Sparprodukte anbieten; wer mit Konto und App startet, kann situativ Kreditangebote machen (z. B. „Raten statt Ratenfrust“ bei größeren Umsätzen). Die Bank baut damit einen Kundenkreislauf, der Akquisitionskosten senkt und Lebenszeitwert erhöht.
Produkt, Preis, Risiko: Die sensible Dreiecksbeziehung
Die Integration ist kein Selbstläufer. Drei Spannungen müssen austariert werden:
- Preisdisziplin: Deutschland verzeiht keine überzogenen Gebühren. Zusatzerträge müssen aus Nutzung, nicht aus Kleingedrucktem kommen.
- Risikohunger: Ein „zu heißes“ Scoring drückt Ausfälle nach oben; ein „zu kaltes“ bremst Wachstum. Die Balance entscheidet über die Marge.
- Servicequalität: Digitale Selbstbedienung funktioniert nur mit verlässlichem Support für Sonderfälle (Chargebacks, Betrugsverdacht, Adressermittlung).
Wesentlich: Die Datenqualität. Ohne saubere, verknüpfte Daten bleibt das Versprechen vom „Next Best Product“ nur Marketing.
Governance & IT: Agentische Prozesse – aber mit Leitplanken
Die neue Einheit wird nur so gut wie ihre Betriebsprozesse. Moderne Banken setzen auf agentische Automatisierung (KI-gestützte Workflows, die eigenständig Schritte ausführen), allerdings strikt reglementiert:
- Tool- und Policy-Layer trennen Modellintelligenz von sensiblen Funktionen (Zahlung auslösen, Kreditlimit erhöhen).
- Audit-Trails zeichnen jeden Schritt nachvollziehbar auf – wichtig für Interne Revision und Aufsicht.
- Kill-Switches stoppen automatisierte Abläufe bei Anomalien (z. B. plötzliche Häufung identischer Betrugsfälle).
So entsteht Tempo mit Kontrolle – essenziell, wenn eine Consumer-Kreditfabrik an eine Direktbank andockt.
Was Kundinnen und Kunden konkret spüren dürften
Die Fusion von Openbank und Konsumentenkrediten ist mehr als ein Sparakt: Sie ist der Versuch, ein modulares Retail-Betriebssystem zu bauen, das günstige Einlagen mit skalierbarer Kreditproduktion verbindet – schnell, auditierbar, wiederholbar."
- Schnelleres Onboarding, weniger Medienbrüche, klare App-Journeys.
- Einheitliches Pricing und transparente Konditionen über Produkte hinweg.
- Bessere Self-Service-Funktionen: Limit ändern, Karte sperren/entsperren, Raten anpassen, Nachweise hochladen – ohne Hotline-Odyssee.
- Mehr Kontextangebote: Spar-Pockets, Micro-Investments, Zahl-später-Optionen – idealerweise mit ehrlicher Kostenanzeige.
Das alles entscheidet am Ende über Net Promoter Score, Abbruchquoten und Deckungsbeitrag.
Risiken der Fusion: Wo es knirschen kann
- Integrationsaufwand: Migrationen sind fehleranfällig. Dubletten, falsch gemappte Felder, Legacy-Schnittstellen – jedes Detail kann Kunden verärgern.
- Markenführung: Openbank steht für „digital pur“, Konsumentenkredite für „schnell & funktional“. Die Markenstory muss konsistent werden, ohne bestehende Segmente zu verlieren.
- Aufsicht & Datenschutz: Je mehr Daten zentralisiert werden, desto höher die Anforderungen an Zugriffsrechte, Verschlüsselung und Zweckbindung.
- Wettbewerbsreaktionen: Direktbanken, Autobanken und Händlerfinanzierer werden Preise anpassen und Kooperationen schließen. Die anfänglichen Margenfenster können sich schnell schließen.
Woran man den Erfolg in Deutschland messen kann
Ein überzeugender Pilot zeigt Wirkung an wenigen, aber harten Kennzahlen:
- Cost-to-Income-Ratio der Einheit (trendseitig sinkend).
- Durchlaufzeiten für Kontoeröffnung, Kreditentscheidung und Auszahlung (minuten- statt tagelang).
- Nettoeinstände vs. Bruttoneugeschäft (Qualität des Wachstums).
- NPS/CSAT im Service – und First-Contact-Resolution.
- Einlagenwachstum je Akquisekanal und Refinanzierungskosten des Kreditbuchs.
Transparenz gegenüber dem Markt ist hier Teil der Strategie: Wer messbar liefert, kann das Modell glaubwürdig skalieren.
Ausblick: Vom Pilot zur Blaupause
Gelingt der deutsche Start, wird die neue Einheit zur Blaupause für andere Länder. Entscheidend ist dann der Roll-out-Rhythmus: Lokale Regulatorik, Kreditbücher, Partnernetze, Datenmodelle – alles braucht Anpassung, ohne die Architektur zu zersplittern. Wer die Balance hält, gewinnt Tempo ohne Wildwuchs. Wer sie verliert, liefert wieder viele ähnliche Systeme – und kehrt zur Kostenfalle zurück.
Fazit
Die Fusion von Openbank und Konsumentenkrediten ist mehr als ein Sparakt: Sie ist der Versuch, ein modulares Retail-Betriebssystem zu bauen, das günstige Einlagen mit skalierbarer Kreditproduktion verbindet – schnell, auditierbar, wiederholbar. Deutschland als Pilot ist mutig und logisch: Wer hier Effizienz und Kundenerlebnis verbessert, hat ein belastbares Modell für andere Märkte. Erfolg ist möglich, aber nicht garantiert. Er hängt daran, ob Santander Migration, Markenführung, Governance und Datenqualität gleichzeitig beherrscht. Gelingt das, entsteht ein Wettbewerber, der Kosten senkt und Wachstum beschleunigt – in einem Markt, der beides selten gleichzeitig erlaubt.
Ich glaube, dass Menschen, die sich ihrer Ziele und Werte bewusst werden, sorgenfreier leben.












