Da stand es nun also, unser Rotkäppchen

Anleihe bei den Brüdern Grimm Das Märchen von der Alternativlosigkeit der Aktien

Es war einmal eine Welt, in der die Großmutter dicke, fette Zinsen vereinnahmte. Dann, nach vielen Jahren der Glückseligkeit kam der böse Wolf und fraß mit der Großmutter auch alle Zinsen weg. Da stand es nun also, unser Rotkäppchen – mit leerem Körbchen und feuchten Äuglein, traurig vor sich hinschnäuzend, ganz allein am Kapitalmarkt.

Es war einmal ein kleines süßes Mädchen ...

Doch plötzlich – erst leise, dann immer lauter – kam von irgendwo eine Stimme her.

„Hey Du?!“  „Wer ich?“ „Psssst! Ja genau, Du!“ 

„Wer bist Du und was willst Du?“ schniefte Rotkäppchen irritiert.

„Ich bin der Bewahrer der Alternativlosigkeit und ich gebe Dir jetzt einen Riesentipp!“, sagte die Stimme. „Tipp, was für’n Tipp?“

Autorenbox (bitte nicht verändern)

„Pass auf Kleines! Hör mir gut zu. Du kannst ab jetzt das Seuseln einstellen. Du musst einfach nur Aktien kaufen, die sind sowas von alternativlos, das glaubst Du nicht!“

„Aktien? Aber Grußmutter hat doch immer gesagt…“

„Hey, pass auf Kleines, deiner Großmutter haben die fetten Zinsen auch nicht geholfen, sonst hätte der Wolf sie ja schließlich nicht gefressen, oder?!“

Unsicher um sich blickend, kam Rotkäppchen nur ein leises, kaum wahrnehmbares „Ich weiß nicht…“ über die Lippen.

„Also nochmal, Kleines…“, konterte die Stimme, „…kauf Aktien und Dein Körbchen wird wieder so richtig schön voll!“

„Na dann“, sagte Rotkäppchen und kaufte Aktien.

Und wenn Rotkäppchen nicht gestorben ist, dann kauft es noch heute Aktien.

Na ja, fast. Wenn nicht dieses geringe Wirtschaftswachstum und der Börsencrash dazwischen gekommen wären und ein fettes Loch in Rotkäppchen‘s Körbchen gerissen hätten. Dann, ja dann wäre Rotkäppchen heute bestimmt immer noch von der Alternativlosigkeit der Aktien überzeugt.

Zugegeben, das ist eine ziemlich abgefahrene Geschichte

Aber mal ganz ehrlich, ist es eigentlich nicht eher abgefahren, davon zu sprechen, Aktien seien alternativlos, um damit unbedarfte Anleger pauschal in Aktien zu treiben?

Wenn man heute in den Medien und von Beratern ein Patentrezept für Kapitalanleger hört, dann ist es genau dieses: Aktien sind in diesem zinslosen Umfeld die einzige Alternative – und damit – das ergibt die märchenhafte Logik – alternativlos.

Sind Aktien aber wirklich eine so unfassbar gute Anlage, dass ihr das Prädikat „alternativlos“ gegeben werden darf?"

Zweifel sind durchaus berechtigt, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.

Fangen wir also vorne an

Der deutsche Aktienmarkt hat, gemessen am deutschen Aktienindex DAX, in den letzten 50 Jahren eine Rendite von 7,3% pro Jahr erzielt. Klingt nicht schlecht, oder? Gut, vielleicht hätte man in seinem jugendlichen Leichtsinn und in Anbetracht der zurückliegenden recht fetten 5 Jahrzehnte noch etwas mehr erwartet. Schließlich sind wir ja nicht nur die Vorzeige-Wirtschaftsnation, sondern auch noch Dauer-Exportweltmeister. Aber was soll’s? 7% sind im heutigen Niedrigzins-Umfeld doch eine klare Ansage. Was spricht also gegen das Attribut der Alternativlosigkeit bei Aktien?

Wie wäre es da z.B. mit dem Preis, den man für die gut 7% an Rendite bezahlen musste? Dieser ließe sich zu Fuß – und daher etwas vereinfacht – wie folgt errechnen:

Man nehme den maximalen, zwischenzeitlichen Wertverlust von deutschen Aktien (-72,68%) und multipliziere diesen mit der Anzahl der Jahre, die man mit seinem DAX-Investment  im schlimmsten Fall im Minus liegen konnte (13,5 Jahre).

Das Ergebnis dieser vereinfachten Preisberechnung könnte lauten: 7% Rendite mit Aktien erfordern ausgesprochen viel Geduld und Leidensfähigkeit.

Zum besseren Verständnis noch einmal langsam zum Mitschreiben: In der Spitze musste man als Anleger damit leben, dass von dem in deutschen Aktien angelegten Geld zwischenzeitlich nur noch gut ein Viertel übrig blieb. Gleichzeitig kam es in den letzten 50 Jahren in zwei voneinander unabhängigen Phasen vor, dass man mit seinen deutschen Aktien jeweils rund 13,5 Jahre im Dauerminus ausharren musste (Ende 1969 bis Frühjahr 1982 und Anfang 2000 bis Mitte 2013).

Man könnte es also auch so formulieren: Um mit Aktien überzeugende Renditen erzielen zu können, benötigt man neben Nerven wie Drahtseilen zudem also entweder

  • a) sehr viel Zeit oder
  • b) das Glück, zum richtigen Zeitpunkt geboren zu sein, und gerade ausreichend Erspartes zur Verfügung zu haben. Und – nicht zu vergessen – am Ende ein gutes Händchen, um die Gewinne rechtzeitig vor der nächsten Krise in trockenen Tüchern zu haben.

Ist das zu skeptisch gedacht?

Entscheiden Sie selbst, ob Kursverluste jenseits der 70% und Wartezeiten von über 13 Jahren mit einer Rendite von rund 7% angemessen honoriert werden. Wir halten das Chance-/Risikoverhältnis von Aktien mit einer Buy & Hold-Strategie für nicht überzeugend. Zu hoch ist uns der Preis für die letztlich nicht planbare Rendite, als dass sich der Begriff alternativlos rechtfertigen ließe.

Aber es schießt weiter über das Ziel hinaus, Aktien als Retter des Abendlandes zu glorifizieren."

Unsere Einschätzung erhält sogar zusätzlichen Rückenwind, wenn man bedenkt, dass die historische Rendite von Aktien nicht ohne weiteres in die Zukunft projiziert werden kann. Schließlich lassen sowohl die rückläufige demographische Entwicklung als auch die zunehmende Überalterung in den Industrieländern vermuten, dass die Wachstumsraten zukünftig niedriger ausfallen werden. Wenn man zudem bedenkt, dass auch die Neuverschuldung als künstlicher Wachstumsmotor vergangener Jahrzehnte aufgrund der bereits deutlich zu hohen Staatsverschuldung ausfällt, ist eine gewisse Wachstumsskepsis durchaus angebracht.  

Da die genannten Faktoren unmittelbaren Einfluss auf das Renditepotenzial von Aktien haben, gehen nachvollziehbarerweise auch Analysten zukünftig von rückläufigen Renditen bei Aktien aus. Das wiederum würde das Chance-/Risikoverhältnis von Aktien weiter verschlechtern.

Fazit

Insgesamt erweist man unerfahrenen und unbedarften Anlegern im Zweifel also einen Bärendienst, wenn man Aktien pauschal als alternativlos bezeichnet. Es sollte uns nicht entgangen sein, dass vor gar nicht allzu langer Zeit bereits eine Anlegergeneration mit falschen Erwartungen in Aktien gelockt wurde – nur um am Ende desillusioniert und frustriert einen großen Bogen um Aktien zu machen.

Es spricht sicherlich nichts gegen Aktien. Im Gegenteil. Aber es schießt weiter über das Ziel hinaus, Aktien als Retter des Abendlandes zu glorifizieren. Das Attribut „alternativlos“ ist für Aktien also mindestens eine Nummer zu groß.

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