Menschen in Krisenzeiten Tendenz eher konservativ
Wie sieht das Wahlverhalten in Krisenzeiten aus? Mit dieser Frage hat sich der Bonner Volkswirtschaftler und Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick befasst. Er und sein Team untersuchten die Wählerreaktionen auf Finanzkrisen. Sie stellen dabei die These auf, dass in Krisenzeiten ein Trend nach rechts besteht.
Nun lässt sich darüber streiten, was konkret unter "rechts" oder "links" zu verstehen ist. Heute gilt die politische Einordnung rechts - je nach persönlicher politischer Verortung - oft als Synonym für rechtspopulistisch, rechtsextrem, rechtsradikal bis hin zu nazistisch. In einem weiteren Sinne werden aber auch Positionen, die gemäßigter sind und mit rechtsliberal, liberal-konservativ oder wertkonservativ beschrieben werden, dem rechten politischen Spektrum zugeordnet. Diese enorme Bandbreite ist auch das Problem der Studie. Denn die unterstellte Rechtsreaktion besitzt je nach Fall und betrachtetem Land ganz unterschiedliche Ausprägungen.
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Ergebnisse einer Wahlanalyse über 140 Jahre
Dieses einschränkend vorausgeschickt, haben sich die Bonner Forscher mit dem Wählerverhalten in diversen Staaten nach dem Eintritt von Finanzkrisen befasst. Untersucht wurde der Zeitraum 1870 bis heute. Man legte dabei die ökonomischen Daten aus 20 entwickelten Volkswirtschaften und rund 800 Wahlresultate zugrunde. Die analysierte Zeitspanne hält in der Tat eine Vielzahl von Finanzkrisen bereit und bietet daher ausgiebigen Untersuchungsstoff. Dabei kommt die Studie zu folgenden Erkenntnissen:
- in Krisenzeiten nimmt zunächst - wenig überraschend - die politische Stabilität ab. Das Misstrauen gegen das politische Establishment steigt und es kommt vermehrt zu Protestwahlverhalten. Die Folge sind häufig Regierungswechsel und eine zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft;
- rechte Parteien profitieren dabei zunächst sehr viel stärker als linke. Die Studie konstatiert bei den "Rechten" einen Wählerzuwachs von bis zu 30 Prozent;
- die Erklärung liegt nach Meinung der Forscher darin, dass in unsicheren Zeiten die Wähler eher auf Parteien setzen, die Kontinuität und Ordnung versprechen. Dies bedienten rechte Parteien eher, gleichzeitig stellten sie sich gegen die "Etablierten" und böten damit eine Protest-Option. Linke Parteien ständen dagegen tendenziell für Umsturz der bestehenden Ordnung und Anarchie;
- interessanterweise sind die "Rechtsausschläge" vor allem im Nachgang von Banken- und Finanzkrisen zu beobachten. Bei anderen ökonomischen Schocks fallen die Reaktionen schwächer aus. Dies erklären die Forscher damit, dass die Angst ums eigene Geld die größte Verunsicherung auslöst;
- linke Politikangebote kommen oft erst dann ins Spiel, wenn die akute Krise vorbei ist, die Krisenbewältigung aber nur schleppend voranschreitet. Dann würde der Wunsch nach Veränderung stärker.
Inwieweit man dieser Analyse folgt, bleibt jedem selbst überlassen. Auch wenn sich viele Beispiele für die These der Studie anführen lassen - Wählerverhalten ist komplex und sicher nicht monokausal.